Macabros 096: In der Arena der Drachentöter
Besonderes anhaftete, erkannten sie
alle drei fast gleichzeitig, als ihre Augen sich an die
Dämmerung gewöhnt hatten. »Grabplatten!« entfuhr
es Arson.
»Das ist ja ein Friedhof!« gab Rani seinen Senf dazu und
ging in die Hocke.
»Tatsächlich.« Hellmark tat es dem Freund nach.
Zu ihren Füßen waren achteckige, geschliffene
Felsplatten so in den Boden eingelassen, daß sie wie ein Muster
erschienen.
Die Platten trugen in einer kyrillischartigen Schrift Namen, die
sie nicht lesen konnten. Die flach eingemeißelten Gesichter
jedoch erinnerten sie an das Symbol, das Ak Nafuur ihnen auf Papier
hinterließ.
Das Konterfei des Janus-Kopfes!
Links Menschenantlitz, rechts Drachengesicht…
Die Platten hatten einen mittleren Durchmesser von knapp zwei
Metern.
Es gab Hunderte von ihnen im Tal zwischen den Bergen, wo sie
eingetroffen waren.
Ak Nafuur hatte sie in einen Friedhof geführt, der uralt sein
mußte. Das Gestein ringsum zeigte zum Teil schwerste
Korrosionsschäden, Moose und Flechten wuchsen in den Ritzen,
aber keine höher entwickelte Pflanze.
Arson wollte etwas sagen, als er im Ansatz des Sprechens
innehielt.
Durch Rani Mahays Körper ging plötzlich ein Ruck. Der
Inder versuchte sich noch zu fangen.
Zu spät!
Der Boden unter seinen Füßen öffnete sich
plötzlich. Eine Falle! Wie ein Stein stürzte der Freund in
die Tiefe.
Das Grab hatte sich geöffnet und schloß sich sofort
wieder…
… und Mahays entsetzter Schrei verhallte zwischen den
dampfenden und glühenden Kratern der Drachenwelt…
*
John Balmore stammte aus Liverpool, lebte aber seit dem
zwanzigsten Lebensjahr im Randgebiet von London. Seine Wohnung lag
nur zwei Straßenecken von der seines Freundes Bowles
entfernt.
Balmore leitete vor Jahren eine kleine Band, die in Diskos,
Kneipen und Bars auftrat. Die ›Moon-Lights‹, wie sie sich
damals nannten, wurden rasch bekannt, und der Sound, den sie
brachten, kam an. Die ersten Plattenaufnahmen waren im Gespräch,
als die Gruppe über Nacht auseinanderbrach. Der hervorragende
Gitarrist beging Selbstmord, der Schlagzeuger starb in der gleichen
Nacht an einer Überdosis Heroin.
Die Story der ›Moon-Lights‹ machte Schlagzeilen.
Die sensationelle Meldung veranlaßte den Manager, erst recht
eine Schallplatte zusammenzustellen. Mit zwei Ersatzleuten. Doch da
machte das Publikum nicht mit. Die Platte wurde ein Fiasko. Die
Moon-Lights waren nur so lange wirklich gut gewesen, solange sie in
der Originalbesetzung auftraten. Alle Versuche, die Gruppe neu
zusammenzustellen, mißlangen. Es kam zu Streitereien, und
schließlich ging jeder seiner Wege.
Balmore war aus dem Dilemma noch einigermaßen heil
herausgekommen. Als Klavierspieler tingelte er wie früher durch
Clubs und Bars und verdiente sich damit seine Brötchen. Bei
einer solchen Gelegenheit lernte er Vincent Bowles kennen. Die beiden
Männer freundeten sich an und kamen überein, ihre Termine
nach Möglichkeit so oft zusammenzulegen, wie es ging.
Balmore komponierte seit geraumer Zeit, textete selbst und fand in
Bowles den Mann mit der Auffassung und der Stimme, die zu seinen
kraftvollen, kritischen Liedern paßte.
Sie merkten, daß dies ein neuer Anfang, eine neue Karriere
für sie bedeuten konnte, wenn sie hart an sich arbeiteten. Beide
waren bereit, den dornenreichen Weg zu gehen. Und nun sah es so aus,
als würde es einen Sprung nach vorn geben. Das Gespräch mit
dem Produzenten einer neuen Lieder-Serie stand bevor.
Um zehn Uhr sollten sie in dessen Büro in der Kensington Road
sein.
Um neun Uhr rief Balmore vorsichtshalber an, da er Bowles’
Schwäche für langes Schlafen kannte.
Als selbst nach viermaligem Klingeln niemand abhob, fand er das
noch normal.
Beim sechsten und siebenten Mal entstanden Unmutsfalten auf seiner
Stirn.
Niemand reagierte.
Hatte er sich verwählt?
Sehr aufmerksam wiederholte er die Nummer. Es klingelte abermals
zehnmal – und niemand meldete sich! »Der Bursche hat einen
Schlaf wie ein Murmeltier«, murrte der dunkelhaarige Balmore.
»Oder er hat gesoffen wie ein Pferd und kommt nicht zu sich. Na,
warte, einfach unseren Termin zu verpennen… dir werd’
ich’s zeigen…«
Er machte sich in aller Eile fertig. Zehn Minuten später
saß er in seinem Auto und fuhr los.
Zwei Straßenecken weiter hielt er vor dem
fünfstöckigen, älteren Mietshaus. In der untersten
Etage war ein Lebensmittelgeschäft untergebracht. Zwei Frauen
standen vor den Gemüsekisten und suchten sich die Ware
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