Macabros 101: Sturz in das Chaos
die Metallwand in die Erde?
Bolonophom gähnte. Er war todmüde, aber dennoch war ihm
die offensichtliche Überraschung seines Begleiters nicht
entgangen.
Seine Augen verengten sich. »Eines verstehe ich nicht«,
bemerkte er.
»Und was verstehst du nicht, Bolonophom?«
»Wenn ich dich so betrachte, dann habe ich das Gefühl,
du siehst dies alles zum ersten Mal…«
»Ich sehe es zum ersten Mal.«
»Eben das glaube ich dir nicht.« Er lächelte
gedankenversunken. »Aber du wirst deinen Grund haben, es mir zu
verschweigen. Bei euch Göttern aus einer anderen Welt weiß
man nie genau, wie ihr es meint…«
»Ich habe es dir schon mal gesagt. Ich bin kein
Gott.«
»Ja, ja ich weiß. Aber das Schwert hat dich nicht
verletzt. Bei dir ist kein Blut geflossen. Du bist anders als ich
und…«
Macabros, der ihm genau gegenüberstand, sah, wie sich seine
Augen plötzlich vor Schreck weiteten.
Zweige brachen, ein ohrenbetäubendes Brüllen tönte
durch die Nacht, und dann wurde Macabros auch schon zu Boden
gerissen…
*
Ein wildes Tier!
Es war so groß, daß es mit seinem zottigen Fell
Macabros völlig bedeckte.
Der plötzliche Druck, der unerwartete Angriff warf den
blonden Mann auf die Erde. Die klauenartigen Pranken wischten durch
die Luft und bohrten sich tief in seinen Körper.
Bolonophom schrie auf, als er die urwelthafte Raubkatze mit den
dolchartigen Fangzähnen auf Macabros hocken sah. Und die Bestie
aus der Wildnis konzentrierte sich nicht nur auf die eine Beute.
Da war noch eine andere. Sie roch anders. Nach Schweiß und
Blut.
Die gewaltige Pranke löst sich von Macabros. Es ging so
schnell, daß Bolonophom keine Gelegenheit mehr fand, dem
Angriff auszuweichen.
Die Pranke wischte über seine Brust. Das matte Metall rettete
ihm das Leben. Die Krallen konnten den Brustpanzer nicht durchbohren,
nicht abreißen, doch sie streiften noch den linken
ungeschützten Oberarm.
Bolonophom schrie ein weiteres Mal auf, während er schon in
das Reisiggestrüpp fiel. Die messerscharfen Krallen rissen sein
Fleisch auf. Warm quoll Blut in Rinnsalen aus seiner Haut.
Macabros nutzte die Gelegenheit, die sich ihm unerwartet bot.
Er verfügte nicht wie sonst über die Gabe, sich einfach
an einen anderen Ort versetzen zu können. Er war auf seine
Bewegungsfreiheit angewiesen. Und da die Pranke von ihm abließ,
bot sich ihm die Chance, aktiv zu werden.
Er brauchte weder die Krallen noch das Gebiß des Raubtieres
zu fürchten. Es konnte ihn nicht zerreißen, nicht
töten. Es konnte ihn nur festhalten und in seiner
Bewegungsfreiheit hemmen. Der verletzbare Körper, aus dem er
seine Psyche bezog, befand sich an einem unendlich weit entfernten
Ort, in einem Gefängnis, das der Kontrolle des
Dämonenfürsten Molochos unterstand.
Björns Psyche aber weilte nun in Macabros. Sie verließ
seinen Doppelkörper nicht, der löste sich auch nicht auf.
Macabros, führte den Kampf durch. Es war ein erstaunliches
Phänomen, das ihn selbst verwunderte.
Er fragte sich, welchen Sinn sein Aufenthalt hatte und wieso sein
Zweitkörper nach wie vor aktiv war.
Er stemmte sich mit gewaltiger Kraft gegen das zottige Raubtier.
Er spürte den heißen Atem und das ungeheure Gewicht, das
auf seinem Körper lastete. Ein Mensch aus Fleisch und Blut
wäre längst unter diesem Druck zerquetscht worden.
Macabros’ Körper entwickelte mehr Kraft, als einer, der
verletzbar, angreifbar gewesen wäre.
Es gelang ihm, beide Hände frei zu bekommen.
Er bewegte sich ruckartig und versuchte, die zottige Bestie
zurückzudrängen. Millimeterweise gelang es ihm.
Das Tier fauchte und brüllte. Das weit aufgerissene Maul
schwebte über dem Gesicht des blonden Mannes.
Bolonophom lag schräg neben dem Eingang in den Erdhügel
und starrte auf das Schauspiel, das sich seinen Augen bot.
Der andere war ein Gott! Dieser Kampf war wieder der eindeutige
Beweis für seinen Verdacht.
Der blonde Mann, der ihm das Leben gerettet hatte, schaffte es,
das gewaltige Genick der reißenden, tobenden Bestie zu
umklammern. Ob er durch eigene Kraft in die Höhe kam – oder
durch das ruckartige Herumwirbeln des Tieres, war nicht genau zu
erkennen.
Plötzlich hing Macabros auf dem Rücken. Die Bestie warf
den Kopf herum. Schaumiger Geifer lief aus dem Maul und tropfte auf
die Erde. Die gelben Zähne waren so groß wie die Hand
eines ausgewachsenen Mannes.
Macabros war nicht abzuschütteln. Er schien mit dem
Körper der Raubkatze verwachsen, die vergebens versuchte,
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