Macabros 113: Die Wahnsinnskugeln
Meinung, daß du der Auslöser
bist…«
Evont knirschte mit den Zähnen. »Du bist ein
Scheusal«, preßte er hervor.
Menat lachte und deutete auf die vor ihnen liegende Lichtung.
»Da drüben sind die Ruinen und die Leute, die du
suchst«, sagte er dann schnell.
»Ich kann nichts sehen…« Evont riß die Augen
unnatürlich weit auf, um die Dunkelheit zu durchdringen.
»Da ist ein großer Baum, der alle anderen an Umfang und
Größe überragt…«
»Gehen wir auf diesen Baum zu!«
Evont begriff den Sinn nicht, tat aber, was Menat von ihm
erwartete.
»Willst du sagen, daß Baia und die anderen dort
versteckt sind?« fragte er benommen.
»Ich redete von der Ruinenstadt. Warte ab…«
Der Baum hatte einen gewaltigen Umfang. Zehn erwachsene
Kämpfer könnten ihn mit einiger Mühe umfassen.
Der Unheimliche ging direkt auf ihn zu und mußte jetzt an
die Rinde stoßen. Genauso war es.
Menat berührte die rissige Oberfläche, beschrieb darauf
mit der Hand einige merkwürdige Zeichen – und ging dann
weiter. In den Baum hinein…
*
Aber merkwürdigerweise verschwand es nicht.
Evont, der noch vor dem Baum stand, konnte den unheimlichen Magier
noch sehen.
Menat drehte sich um und stand da wie in einem milchigen
Nebel.
»Nun komm schon! Ich denke, du willst deine Familie
wiedersehn?«
Evont gab sich einen Ruck. Es widerstrebte ihm, auf den Baum
zuzugehen, und er rechnete instinktiv mit einem Widerstand.
Schließlich sah er die tiefeingekerbte Rinde deutlich vor
sich.
Aber sie war nur noch ein Trugbild, nur noch Luft. Menat hatte sie
mit seiner Zauberei entmaterialisiert.
Evont hatte das Gefühl, durch eine Nebelwand zu gehen. Dann
stand er wieder neben dem Unheimlichen.
»Angst?« fragte dieser ihn.
»Etwas… Wo sind wir hier?«
»Auf dem Weg nach Kalesh. Vor uns liegen die
Ruinen…«
Evont wollte noch etwas sagen, aber es verschlug ihm die Sprache.
An dieser Nacht war etwas Besonderes. Er war in einen Bann geraten,
aus dem er offenbar aus eigener Kraft nicht mehr herauskam.
Es stimmte, was Menat sagte.
Die Ruinen waren wirklich da.
Dunkel und grotesk ragten sie vor ihm aus dem Boden.
Reste von Mauern, Türmen und Gebäuden. Trostlos und
verlassen lagen diese Relikte aus einer anderen Zeit vor ihnen.
Die Mauern waren aus groben, morsch gewordenen Steinen
zusammengefügt.
Aus Ritzen und Spalten ragten knorrige Zweige, die das Gestein im
Lauf der Jahrhunderte oder gar Jahrtausende weiter
auseinandergetrieben hatten. Ganze Mauerteile waren schon
eingestürzt, große Schutthaufen waren nur noch davon
übrig.
Moose, Flechten und flaches Rankengewächs bedeckte teilweise
die Oberfläche des erodierten Gesteins.
Dennoch fiel eins auf. Die wilde Wuchskraft des Dschungels
›außerhalb‹ des Zauberbaums wirkte sich hier nicht
aus.
Der Weg, den sie gingen, war frei bis auf eine flache, schmierige
Moosschicht.
Evont blickte sich stauend um an diesem düsteren Ort, der
eine eigene Atmosphäre besaß.
Der Weg führte an den zusammengestürzten Mauern entlang,
unter einem gut erhaltenen Torbogen durch und mündete auf einem
freien Platz, wo einige noch gut erhaltene, bienenkorbähnliche
Gebäude standen. Sie hatten keine Türen und Fenster
mehr.
Doch es waren nicht nur die zerfallenen Gebäude, die von
einer untergegangenen Kultur in dieser Zwielichtzone zeugten.
Evont sah zum erstenmal auch die Geschöpfe des
legendären Traumlandes Kalesh…
*
Eines stand auf dem freien, runden Platz zwischen den
Gebäuden mitten vor ihm.
Ein Zentaur!
Ein Geschöpf – halb Pferd, halb Mensch. Es war kein
männlicher Zentaur, sondern ein weiblicher.
Der nackte, mädchenhafte Oberkörper schimmerte matt aus
dem Zwielicht. Das Geschöpf stand angespannt da, einen
verträumten, entrückten Ausdruck auf dem
ebenmäßigen Gesicht. Das Haar wallte wie eine Mähne
um das Antlitz und betonte die Züge noch.
Das Zentaur-Weibchen schien einen Ruf vernommen zu haben, lauschte
und schickte sich nun an, davonzueilen und dem Ruf zu folgen.
In der Bewegung war es erstarrt. Ein begnadeter Künstler
hatte alle Feinheiten dieses grazilen Körpers
herausgearbeitet.
»Es ist keine Statue«, sagte Menat mit rauher Stimme,
als hätte er Evonts Gedanken erraten. Die verzauberte Stimmung
und die Nachdenklichkeit, in die der Mann aus Kyrta einen Moment
geraten war, wurde durch diese Worte schlagartig zerstört.
»Willst du damit sagen, daß sie lebt?« Evonts
Frage klang wie ein Hauch in dieser zwielichtigen
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