Macabros 117: Amoklauf der Verlorenen
nicht wahr,
cherie?«
»Nein. Ich will weiterfahren, das ist alles. Ich will weg von
den großen Städten…«
»Das sind wir bereits. Ich habe dich im Verdacht, daß
du längst telefonisch irgendwo ein Zimmer bestellt hast und zur
Eile drängst, weil du mit irgendeiner Überraschung
aufwartest. Stimmt’s?«
»Völlig verkehrt.«
André zuckte die Achseln, schwang sich auf die Maschine und
fuhr los.
Der lichtstarke Scheinwerfer riß die Straße in ihrer
gesamten Breite aus dem Dunkeln, das immer mehr zunahm.
Nicole Sengor saß mit angespannten Sinnen auf dem Sozius und
machte sich keine Gedanken über ihr Verhalten.
Sie regierte einfach. Sie erfüllte einen Befehl, der tief in
ihrem Innern wirksam geworden war, von dem sie selbst nicht
wußte, wie er zustande gekommen war.
Streckenweise begegnete ihnen auf der Weiterfahrt kein anderes
Fahrzeug.
Nicole Sengor klammerte sich an André und legte ihren
behelmten Kopf an seinen Rücken. Es schien, als würde sie
während der Fahrt schlafen.
Aber sie war hellwach.
Sie waren erst wenige Minuten von dem Lokal entfernt, in dem sie
gegessen hatten, als sie André mit einer Geste zu verstehen
gab, an der nächsten Kreuzung rechts abzufahren.
Er glaubte, sie nicht richtig verstanden zu haben hielt deshalb
und klappte seinen Helm nach hinten.
»Nach Silfiac geht’s geradeaus weiter«, sagte
er.
»Ich will nicht nach Silfiac.«
»Also doch ein Geheimnis!« Er grinste. »Hast du dir
ein Liebeshotel ausgesucht?«
Sie antwortete nicht.
Fünfzig Meter weiter folgte die Kreuzung.
Spätestens hier war André Murois überzeugt davon,
daß Nicole ein undurchsichtiges Spiel mit ihm trieb.
Sie hatte vorher überhaupt nicht wissen können,
daß es da vorn eine Kreuzung gab! Nicoles Ausführungen
nach zu urteilen, war sie nie vorher hier gewesen…
Das Verhalten seiner Freundin schien André immer
mysteriöser.
Ein schmaler holpriger Weg führte zwischen Büschen und
niedrig stehenden Bäumen zu einem Hügel.
Unterhalb des Hügels hielt der Fahrer.
»Wo sind wir hier, Nicole?« wollte er wissen, und
blickte sich im Licht des Scheinwerfers um.
»Ich weiß es nicht, André.«
»Aber du hast mich doch hierher gelotst, dann mußt du
dir auch etwas dabei gedacht haben.«
Sie zuckte die Achseln, nahm den Helm ab und zog dann den
Reißverschluß ihre Motorradkombination herab.
Er sah sie entgeistert an.
»Willst du dich hier häuslich niederlassen?« fragte
er verwirrt.
»Vielleicht. Hier muß doch etwas sein, wo wir heute
nacht bleiben können…«
»Ich habe nirgends ein Schild gesehen, das einen Hinweis auf
ein Hotel oder ein Gasthaus gab…«
»Ich wollte hierher«, sagte sie wie geistesabwesend,
ohne auf seine Bemerkung einzugehen. »Wir sind richtig… ich
fühle es.«
Auch er fühlte etwas, aber es war ihm unangenehm.
André Murois kannte sonst keine Furcht. Aber plötzlich
hatte er sie. Instinktiv wurde ihm bewußt, daß mit dieser
abgelegenen Stelle etwas nicht stimmte.
Der Nebel wob geheimnisvolle Gebilde zwischen den Gräsern und
den schwarzen Stämmen alter Bäume, die auf halber Höhe
vereinzelt standen.
Die Luft hatte eine eigenartige Färbung. Sie war eher
dunkelgrau, nicht schwarz. Und das kam nicht allein von dem Nebel,
der milchig um ihre Füße wogte.
Etwas Unheimliches, Bedrohliches lag in der Luft.
»Fahren wir«, bestimmte André Murois und machte
Anstalten, die Maschine herumzuziehen.
Da begann der Motor zu stottern und erstarb schließlich.
Murois machte einen Startversuch nach dem anderen.
Das Motorrad sprang nicht wieder an.
»Verdammt«, fluchte er, »was ist denn jetzt
los?«
Er stellte die Maschine gegen einen Baum und überprüfte
als erstes die Benzinzufuhr, dann die Zündkerzen.
»Alles in Ordnung. Ich kann mir keinen Reim darauf
machen«, sagte er leise und erwartete, daß Nicole eine
Bemerkung fallen ließ.
Als ein Wort über ihre Lippen kam, wandte er den Kopf.
»Nicole?« fragte er verwundert und starrte in die
Düsternis.
Von der Begleiterin weit und breit keine Spur…
*
»Nun mach’ keinen Quatsch!« schimpfte er.
»Für Versteckspiele jeder Art habe ich jetzt kein
Verständnis… Komm’ her! Ich muß die Maschine
aufbocken und auseinanderlegen. Du mußt mir die Taschenlampe
halten, da hab’ ich’s leichter.«
Keine Reaktion erfolgte.
Da rief er mehrere Male laut ihren Namen, entfernte sich von dem
Motorrad und suchte seine Begleiterin in der bleigrauen
Dämmerung.
Der holprige, steinige
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