Macabros 118: Sternenschloß des toten Gottes
Der
Gips war keine Einbildung.
Susan schluckte heftig. Das Gesehenen heute nacht… alles
andere als ein Traum?
Sie konnte es nicht fassen und zweifelte auch jetzt noch
daran.
Bobby mußte sich einen ganz üblen Scherz erlaubt
haben.
Das war eine Nachbildung…
Er mußte einen Weg gefunden haben, sein Gipsbein… Doch
ebenso schnell, wie ihr dieser Gedanke gekommen war, verwarf sie ihn
wieder.
Alles war Unsinn. Wie sollte Bobby… es sei denn, er hatte
zusammen mit einem seiner Freunde beschlossen, sich einen Scherz zu
erlauben. Aber wo sollte der Freund dann ausgerechnet ein Gipsbein
herbekommen? Die junge Frau kehrte immer wieder an den Ausgangspunkt
ihrer Überlegungen zurück, und ein unbehagliches
Gefühl befiel sie.
Susan riß die Schlafzimmertür auf und eilte über
den Flur in Bobbys Zimmer.
Er schlief noch.
Auf dem Boden lagen die Buchstaben aus der Schachtel.
Sie waren im Kreis zusammengefügt, und im Kreisinnern lagen
acht Steine, die den Namen ›X-A-N-T-I-L-O-N‹ ergaben.
Seltsam…
Susan Failman konnte sich genau daran erinnern, daß sie
gestern abend noch die Buchstaben eingeräumt und sie mitsamt der
Schachtel auf den Schrank gestellt hatte.
Die Frau ging um den Kreis herum, als Bobby sich im Bett leise
bewegte und umdrehte. Seine Augenlieder zuckten. Da nahm er sie
wahr.
»Mam?« fragte er erstaunt und richtete sich auf.
Sie wollte etwas Belangloses sagen, wie: ›Schon gut…
entschuldige die Störung… schlaf weiter, wir haben noch
etwas Zeit…‹ Aber nichts von alledem kam über ihre
Lippen.
Wie gebannt starrte sie auf die Bettdecke. Sonst ragte das dicke,
schwere Gipsbein über den Rand hinaus.
Aber jetzt lag Bobby ganz normal im Bett!
Sie bemühte sich, nichts merken zu lassen.
Lächelnd trat sie näher.
»Paß’ auf, bitte«, erscholl Bobbys Stimme da
vom Bett. »Der Kreis muß so bleiben, wie er ist. Er darf
nicht zerstört werden. So wie jetzt kann ich sonst die
Buchstaben nicht mehr zusammenfügen. Und das ist sehr wichtig,
mußt du wissen. Wegen – Zaneroth…«
Sie konnte den Namen schon nicht mehr hören und nickte.
»Aber natürlich paß’ ich auf…« Sie kam
ans Bett heran, hob die verrutschte Decke leicht und wollte alles so
natürlich wie möglich tun.
Aber es gelang ihr nicht.
Der Schreck fuhr ihr wie ein Blitzen die Glieder.
Susan Failman stöhnte.
Bobbys Gips – war verschwunden!
*
Die Frau war noch immer bereit, alles für einen Scherz zu
halten und suchte nach einer logischen Erklärung.
»Erzähl’ mir, was du da angestellt hast«,
sagte sie leise und mußte sich zwingen, die Ruhe nicht zu
verlieren. »Mit welchem Messer oder welcher Schere hast du das
zuwege gebracht?«
»Aber – das war ich nicht. Ich hab’ dir’s doch
noch heute nacht erzählt, Mam…, gleich, nachdem es passiert
ist. Erinnerst du dich nicht an – Zaneroth?«
Ihre Zähne schlugen aufeinander. Sie mußte sich die
ganze Geschichte noch mal von vorn anhören.
Sie tastete das Bein ab. Es waren keinerlei Druckstellen und
farbliche Veränderungen feststellbar. Es fühlte sich
kräftig und ganz normal an. Obwohl es seit Wochen in Gips lag,
war es keineswegs dünner als das andere Bein.
Und – es war frei beweglich.
Susan sah, wie ihr Sohn herumturnte. Er war außer Rand und
Band.
Ein Wunder war geschehen. Sie erlebte es mit allen Fasern ihres
Körpers mit. Sie wußte nicht, was sich ereignet hatte,
doch sie konnte ihre Augen nicht vor den Tatsachen
verschließen. Auch wenn sie keine Erklärung dafür
fand.
»Sei vorsichtig, Bobby!« ermahnte sie ihn mit zitternder
Stimme. »Daß… nichts passiert…«
»Es wird nichts mehr passieren. Zaneroth hat mich geheilt. Er
hat mir die Hände aufgelegt, und ich habe überall dort, wo
er entlanggefahren ist, Wärme gespürt. Im ganzen
Körper…«
»Das alles werden wir feststellen lassen. Ich werde
versuchen, heute nachmittag frei zu bekommen. Ich werde Dr. Henderson
anrufen und ihn um einen Termin bitten. Unter diesen Umständen
wird er sich wohl die Zeit nehmen. Wir lassen dich genau untersuchen,
Bobby.«
Aufgewühlt und erregt fuhr Susan Failman an diesem Morgen von
zu Hause weg.
Bobby, ihr Sohn, stand am Fenster auf der anderen Seite des Hauses
und winkte ihr.
Bobby? Ihr Sohn?
*
Auch in Xantilon zogen seltsame Dinge Menschen in Bann, die in der
gleichen Zeit lebten wie Susan Failman.
Keiner wußte vom anderen, und doch waren ihre Schicksale auf
rätselhafte Weise miteinander verknüpft.
Die
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