Macabros 118: Sternenschloß des toten Gottes
alle beisammen waren.
Der Inder blickte auf den großen, blonden Mann, der als
Mensch Björn Hellmark hieß, jetzt aber vom Geist eines
gewissen Razzan erfüllt wurde.
»Du hast den Vogel abgeschossen, Razzan«, sagte Okar in
der menschlichen Ohren unerträglichen Sprache des Volkes von
Shumo. »Durch Rha-Ta-N’mys Hilfe haben wir eine völlig
neue Ausgangsposition erlangt, und noch mehr werden uns in die
Hände laufen, als Rettung im › Sternenschloß ‹
zu finden. Die Menschen, die aus den Kampfzonen fliehen und das
›Sternenschloß‹ suchen, wissen um eine Gestalt, die
ihnen Hoffnung und Rettung verspricht. Es ist der ›Tote
Gott‹, Razzan… Diesen Namen haben sie ihm gegeben… und
du hast den Körper übernommen, in dem jene Flüchtlinge
den ›Toten Gott‹ sehen. Du wirst sie anziehen wie ein
Magnet. Sie werden glauben, Sicherheit und Ruhe gefunden zu
haben… aber in Wirklichkeit ist es die Ruhe des Todes, denn der
Rachen, der sie’ verschlingt, ist schon weit
geöffnet.«
Razzans rauhes Lachen ertönte. »Dann laß’ uns
nicht länger herumstehen, Okar. Begeben wir uns zum Tempel,
damit wir keinen verpassen. Ich freue mich schon auf die Gesichter
der Opfer, wenn sie erkennen, wohin sie wirklich geraten
sind.«
*
Der ›Unsichtbare Tempel‹ lag nur noch wenige Schritte
von ihnen entfernt.
Menschliche Augen konnten in der schummrigen Atmosphäre
nichts erkennen.
Scheinbar endlos breitete sich die öde, menschenleere
Wüste vor ihnen aus.
Doch der Eindruck täuschte.
Okar blieb plötzlich stehen.
Vor ihm ragte eine unsichtbare Wand in die Höhe.
Seine Hände glitten über die Fläche, und es sah
aus, als würde er Bewegungen und Handspiele in der Luft
vollführen.
Okar suchte den Eingang. »Dies ist einer der Nachteile, die
wir uns mit dem Tausch eingehandelt haben«, bemerkte er.
»Diese Augen taugen nichts. Als ungebundener Geist konnten wir
die Materie durchdringen. Jetzt sind wir blind wie die
Würmer.«
Er ging weiter nach rechts und konnte sich nur auf seinen Tastsinn
verlassen.
Auch die anderen gingen an der unsichtbaren Wand entlang, deren
immense Höhe und Länge ihnen bekannt war, weil sie in einem
besonderen Raum dahinter schon lange Zeit in geistiger Form
aufbewahrt wurden und existiert hatten.
Der ›Unsichtbare Tempel‹ Rha-Ta-N’mys ragte etwa
fünfzig Meter in die Höhe, und jede Wand war mehr als einen
halben Kilometer lang. Darin gab es mehrere Tore, die jedoch wie die
Wände nicht mit menschlichen Sinnen wahrgenommen werden
konnten.
Doch wer immer auf seinem Weg durch die Wüste an diese Stelle
kam, stand vor einem Rätsel. Derjenige mußte solange an
der unsichtbaren Wand entlanggehen, bis er an ein Tor kam. Hier war
das seltsame Hindernis jedoch nicht zu Ende, sondern es fing erst
an.
Für die Menschen und Whiss, deren Identität
ausgelöscht war, stellte sich jedoch dieses Problem nicht.
Sie wollten hierher zurück in den Tempel, der ihr Zuhause
war.
Die Wand, die Okar und Razzan abtasteten, gab plötzlich nach.
Unter ihren Händen wich der Widerstand zurück. Das Tor
öffnete sich.
Okar trat zuerst ein. Links und rechts ragten Wände empor,
die sie mit ihren menschlichen Augen nicht wahrnehmen konnten. Sie
hörten an den hallenden Schritten, daß der Untergrund hart
war.
Nach wenigen Metern kam eine erste Empore.
Okar stieg die Stufen empor. Er war etwa einen Meter über den
anderen und schien zu schweben. Dann folgte Razzan nach und
schloß in der Höhe zu Okar auf.
Ein weiterer Gang lag vor ihnen. Sie kannten das Labyrinth in der
Unsichtbarkeit und stiegen eine Etage nach der anderen empor. Und
kamen dem schnaufenden, rasselnden Geräusch näher…
Die Fremden in den Körpern der Freunde nutzten ihre
Erinnerung, um sich in dem Gewirr der riesigen Korridore und
Durchlässe zurechtzufinden.
Sie blieben alle beisammen.
Wenn ein Mensch in diesen unsichtbaren Tempel geriet, war er
verloren. Unzählige Treppenaufgänge gab es, Korridore, die
in alle Himmelsrichtungen wiesen.
Stufen und Seitenwände waren nach wie vor nicht zu erkennen,
dennoch schienen die Eindringlinge genau zu wissen, wohin ihr Weg
führte.
Sie kamen dem atmenden Geräusch immer näher.
Es erfüllte die Gänge, pulsierte und pochte wie ein
gigantisches Herz, das hier in der Unsichtbarkeit lag und selbst
unsichtbar war.
Die Atmosphäre war beklemmend, erfüllt von einer
Stimmung, die einen Menschen ängstigte.
Aber die hierher zurückkamen in den Körpern von Menschen
–
Weitere Kostenlose Bücher