Macabros 124: Drudan, der Mysterienmacher
vorher schlauchförmig verengt hatte,
so daß es für sie kein Durchkommen mehr gab.
Und dann die Fahrt durch die Regennacht, bis nach Paris.
Hier hatte sie Catherine abgesetzt. Die hatte es gut und konnte
den ganzen nächsten Tag ausschlafen.
Dominique Monde schob ihre langen Beine aus dem Bett und erhob
sich.
An der Wand neben ihr hing ein Spiegel, der vom Boden bis zur
Decke reichte.
»Oh, mein Gott«, entfuhr es der Frau, als sie ihr
Spiegelbild sah.
Ihr Gesicht war teigig, sie sah blaß und unausgeschlafen
aus, und man sah ihr an, daß sie am vergangenen Abend wieder
mal mehr Zigaretten geraucht hatte als sonst.
Ihr Teint war faltig, die Krähenfüße rund um ihre
Augen tief eingegraben, ebenso traten die Mundwinkel schärfer
hervor, und Dominique Monde kam sich zehn Jahre älter vor.
Sie fuhr sich durch das Haar, übers Gesicht und erhob sich
dann.
Drei Minuten später stand sie unter der Dusche, brauste erst
heiß und dann eiskalt. Das weckte ihre Lebensgeister, und sie
fühlte die zunehmende Spannkraft.
Sie wusch ihre Haare, behandelte ihre geschundene Haut mit Cremes
und Lotionen und fand mit kritischem Blick, daß sie langsam
wieder ansprechender aussah. Noch ein starker Kaffee, und der Morgen,
der so quälend begonnen hatte, sah schon viel freundlicher
aus.
Es war wenige Minuten nach acht, als Dominique Monde mit Toilette
und Frühstück fertig war.
Der Kofferdeckel stand bereits offen. Sie hatte inzwischen den
Kulturbeutel herausgenommen, ohne sich jedoch sonst um den weiteren
Kofferinhalt zu kümmern.
Das tat sie jetzt.
Sie hatte noch Zeit und wollte diese sinnvoll nutzen.
Die Französin begann damit, die Sachen auszuräumen.
Als sie ihre Pyjamajacke herauszog, stutzte sie plötzlich. Da
lag ein Buch vor ihr. Alt und abgewetzt, ein dicker Foliant, den sie
sofort wiedererkannte.
Das Buch aus der Hand des Alten in der geträumten Stadt
Lebou!
*
»Das gibt’s doch nicht!«
Dominique Monde wurde blaß unter ihrem Make-up.
Sie schloß zwei Sekunden die Augen und öffnete sie dann
wieder.
Der Eindruck blieb.
Ihr Traum von letzter Nacht setzte sich fort… sie war noch
immer nicht erwacht!
Absichten für diesen Tag und das Traumgeschehen mischten
sich. Eine andere Erklärung fand sie nicht, alles andere war
unlogisch wie der winzige, von seinen Bewohnern verlassene Ort Lebou,
in dem ihre Fahrt gezwungenermaßen unterbrochen worden war.
Mit zitternden Händen griff Dominique nach dem Buch, und fast
erwartete sie, daß sie ins Leere greifen würde, daß
dieser Foliant nur als Einbildung in ihrem Gehirn existierte.
Aber dem war nicht so.
Sie fühlte die rauhe Lederdecke und nahm das Buch heraus.
Brauner Lederstaub lag darauf und blieb an ihren Fingern
haften.
Sie schlug das Buch auf.
Auf vergilbtem Papier stand der mit schwarzer Tinte offensichtlich
handgeschriebene Titel:
»Die Träume des Drudan.«
Empfangen und bildlich dargestellt von Marquis de…
Der Name war nicht mehr erkennbar. Die Tinte an dieser Stelle so
verblaßt, daß sich die Schrift nicht mehr lesen
ließ.
Das Papier war spröde und stockfleckig, und Dominique Monde
ertappte sich dabei, daß sie dieses merkwürdige, auf
rätselhafte Weise in ihren Besitz gekommene Buch vorsichtig wie
ein rohes Ei behandelte.
Auf der nächsten Seite schrieb der Marquis de…, wie er
in den Besitz der Traumbilder gekommen war.
Eines Nachts – es war eine stürmische Aprilnacht 1724
– sei er plötzlich aufgewacht und hätte eine Stimme
vernommen, die ihn aufforderte, Stift und Papier zu nehmen und
aufzuzeichnen, was er höre und sehe.
Die Stimme, die sich meldete, sagte, daß er Drudan sei…
Der, der die Träume schicke. Und da der Marquis de… wegen
seiner aufsehenerregenden Zeichnungen in der Zwischenzeit von sich
Reden gemacht hätte, wäre er dazu prädestiniert, die
Gestalten zu Papier zu bringen, die Drudan festzuhalten
wünschte.
So begann der Marquis de… die Albtraum-Geschöpfe zu
zeichnen.
»… und sie sind mehr als Papier«, las Dominique
Monde mit leiser Stimme den letzten handgeschriebenen Absatz.
»Sie sind ein Teil meines Lebens… meiner
Gefühle…, meiner Sicht in die Welt der Träume, die so
real ist wie die Wirklichkeit, die uns umgibt. Vorausgesetzt,
daß es Drudans Geschöpfe sind, die er sich ausgedacht und
zum Leben erweckt hat. Und jeder, der die Geschöpfe und Wesen
der Nacht und des Schreckens ansieht und will, daß sie leben,
wird den Funken in ihnen entfachen. Denn – Drudan
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