Macabros 124: Drudan, der Mysterienmacher
an den Stellen zusammen, wo
sich Menschen und Objekt eben noch befunden hatten.
Die Geister-Höhle war leer.
Tausende von Meilen entfernt, rund zwei Kilometer abseits der
Straße, die Al Nafuur angegeben hatte.
Der Tag war grau, die Einsamkeit, die sie umgab, ideal, um
unbemerkt von neugierigen Blicken die Dinge in die Tat
umzusetzen.
In die Stille hinein mischte sich nur das Rauschen der Rhone, die
nahe dieser Stelle träge vorbeifloß, Richtung Meer.
Vor ihnen lagen alte, verwitterte Steine, die Reste des Fundaments
eines winzigen Hauses. Wo jetzt faulendes Laub lag, Büsche und
Bäume wuchsen, hatte einst das Haus eines Einsiedlers gestanden,
der sich in die Einsamkeit der Camarque zurückgezogen hatte.
Björn lehnte den Spiegel, der mit ihnen in der Ferne
materialisiert war, an einen dünnen, krummen Baumstamm, neben
dem einige alte Steine lagen. Die Hauptsache war, er befand sich in
der Nähe der Steine. Darauf hatte Al Nafuur ihn aufmerksam
gemacht.
Ebenfalls hatte er durch seine Gedanken darauf hingewiesen,
daß Hellmark mit seinem Original-Körper auf der anderen
Seite des Spiegels taktieren mußte.
Macabros, den er zum Transport des Spiegels eingesetzt hatte,
löste sich auf wie eine Spukerscheinung.
Björn zog den roten Vorhang vollends zurück und
betastete dann die freigelegte Spiegelfläche.
Was aussah wie Glas und an jeder normalen Wand sich auch wie Glas
angefühlt hätte, war an diesem speziellen Fixpunkt jedoch
keins.
Die Oberflächenstruktur des Spiegels war verändert
– und durchlässig wie Luft.
Hellmarks Hand tauchte ein wie in eine senkrecht stehende
Wasserwand.
Bis zum Handgelenk streckte er sie durch den Spiegel. Der Arm
befand sich noch in der dritten Dimension dieser Welt, die Hand ragte
bereits in eine andere, wo Fremde einst den Keim für Drudan und
seine Alpträume gelegt hatten…
*
Er streckte seinen Kopf nach vorn und durchstieß die
Spiegelfläche, die keinen Widerstand für ihn
darstellte.
Er sah in die fremde Dimension, er meinte, in eine Kuppel aus
Lacht zu treten.
Die regenbogenfarbenen Streifen bildeten die Wände. Die
einzelnen Farben waren von hauchdünnen, leuchtend schimmernden
Linien getrennt, und zahllose blinkende Punkte wanderten auf ihnen
nieder. Björn hatte das Gefühl, in einen farbigen
Sternenhimmel zu sehen.
Die Kuppel war riesig.
Björn ging jetzt endgültig durch den Spiegel.
Mahay, der Koloß von Bhutan, folgte ihm auf dem
Fuß.
In der Rechten verborgen hielt der Mann mit der prachtvollen
Glatze jenes unscheinbare Stück Stoff, das aussah wie ein
abgeschnittener Damenstrumpf. Es war die Dämonenmaske, die auf
dem Gesicht ihres Trägers das Aussehen eines Totenschädels
annahm.
Björn und Rani gingen Seite an Seite in die
Regenbogen-Sphäre.
Mitten in der Kuppel lag ein düster schimmernder, aufrecht
stehender Block, der aussah wie geschliffener Marmor aus einer
fremden Welt.
Vom Zentrum der Kuppel ging ein fast hypnotischer Bann aus.
Jeder, der in diese Dimension kommen konnte, wurde automatisch in
die Mitte gezogen.
Der dunkle Block dort pulsierte, und hauchdünne Nebel
umspielten ihn wie tanzende Feen.
Björn Hellmark und Rani Mahay waren gespannte
Aufmerksamkeit.
In der Luft lag etwas, das sie nicht beschreiben konnten, das aber
bestimmte Gefühle in ihnen weckte.
Angst… Beklemmung… Erwartung und Neugier.
Von jedem war etwas dabei.
Mit jedem Schritt, den sie dem Lichtblock näherkamen, desto
stärker wurden diese Gefühle. Das Unbekannte war
unheimlich, abstoßend und anziehend zugleich. Dieser Dualismus
seines Wesens machte es so rätselhaft und unberechenbar.
Als die beiden Eindringlinge noch fünf Schritte vom Zentrum
entfernt waren, geschah es.
Düsteres Licht strömte aus dem Block, stieg auf und
spritzte in dunklen Kaskaden rings um den Block. Aus dem Licht
schälten sich zwei Gestalten, die wie Statuen standen.
Menschen.
Ein Mann und eine Frau.
Er war alt, und ein weißer Bart rahmte sein Gesicht. Er trug
eine Kutte, wie man sie bei Druiden-Priestern gewohnt war. Sein Blick
war starr und geradeaus gerichtet, und seine Hände schienen
gespreizt, nach vorn gestreckt.
Neben dem Weißbärtigen stand eine Frau, die ein
hauchdünnes, schleierartiges Gewand trug. Es gab mehr von ihrem
makellos geformten Körper preis, als es verdecken sollte.
Die Frau war einen Kopf kleiner als der Mann und wirkte seltsam
alterslos.
Auf dem Kopf trug sie eine goldfarbene Kappe, die am ehesten mit
einer Krone zu vergleichen
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