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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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Poljana gab es nicht einmal eine richtige Straße, nur noch
sadíny
, Gärten mit Johannisbeeren und Sonnenblumen, oder schmale Feldstreifen mit Mais, Kartoffeln und Kohl, dahinter lagen Wiesen mit
bábele
, den wohlriechenden Heuhaufen. Schneeballsträucher und Hagebuttenhecken säumten die staubigen Wege, später tauchten einsame Kirschbäume und alte Eichenwälder auf, ganz oben breiteten sich die
poloniny
aus
,
die Bergwiesen auf der Hochebene. Und wenn Fero dort, am äußersten Ende der Welt, genug geweint hatte, drehte er sich um, und seine Augen glänzten wieder, weil ihm die nächste Reise bevorstand, eine lange Reise in die entgegengesetzte Richtung, nach Westen, nach Prag.
    So war Feros Leben. Wie eine Glocke, die hin und her baumelt, wie ein Pendel, das hin und her schwingt, so, wie der Tag zur Nacht wird und auf den Winter der Sommer folgt, fuhr Fero immer wieder zwischen Stakčín, Košice und Prag hin und her; und genauso wie sich im menschlichen Leben Freud und Leid abwechseln und wie eine Ziehharmonika die verrauchte Kneipenluft einzieht und wieder auspustet, genauso regelmäßig pendelte Fero zwischen seinen beiden Welten, als folgte er dabei seinen eigenen Atemzügen.
    |33| Aber eines Nachts wurde er vom Schaffner dabei beobachtet, wie er gerade eine leere Handtasche aus dem Fenster warf, und als der Zug in Olomouc einfuhr, erwartete ihn dort schon die Polizei, gleich am Bahnsteig legte man ihm die Handschellen an. Als man in seinen Taschen zerknüllte Geldscheine fand, da jammerte Fero, man wolle ihn bestehlen, aber dann zog er andere Saiten auf und brüllte, er würde das Arschloch, das ihm das Zeug in seine Taschen gesteckt hatte, umbringen, man solle ihn nur freilassen, den Taugenichts würde er schon von alleine finden. Doch da schob man ihn bereits ins Auto und brachte ihn auf die Wache, und keine Macht der Welt hätte ihn noch vor dem Knast retten können.
    Die verwaisten Dunkas beweinten Feros hartes Schicksal, sie beklagten die Ungerechtigkeit der Gadsche, denn sie ahnten nur zu gut, wie der Onkel im Gefängnis leiden würde, sie wussten, dass der Knast für ihn schlimmer sein würde als Prügel oder Tod, sie sahen ihn schon mit gebrochenem Herzen hinter den Gitterstäben hocken wie einen herumstreunenden Hund, der in den Feldern gefangen und an eine Hundehütte gekettet worden war.
    Und einer von ihnen griff nach der Geige, um den stechenden Schmerz unter seinem Hemd zu lindern, aus den offenen Fenstern strömten langsame, lang gezogene Töne in die Nacht hinaus, sie waren zum Zerreißen gespannt wie dünne Saiten oder Nerven, wie Fäden eines Spinnennetzes, das über einem Abgrund hängt. Und in diese bodenlose Tiefe löste sich Fero mit seinem zerschnittenen Gesicht auf, Fero mit den Narben in Form eines Kreuzes, Fero, der die Eisenbahn liebte, das Reisen und den weiten schwarzen Himmel über dem Kopf, vor allem aber die Freiheit, ja, die Freiheit   …
    ***
    |34| Damals, in jener sonderbaren, stickig heißen Augustnacht war die Luft voller Geräusche und Erwartungen, alle Kinder mussten raus aus der Wohnung, im Zimmer brannte Licht, Stöhnen und Schreie drangen hinaus. Am nächsten Morgen hatte Tante Ida keinen dicken Bauch mehr, das Bettlaken war mit Blut verschmiert, und ein kleines Kindchen lag in weiße Decken gewickelt, wie ein Kaninchen mit abgezogenem Fell oder eine Puppe sah es aus, und alle drängten sich um das Baby herum, kitzelten es an seinen winzigen Händen und säuselten
šukaroro čhavoro,
so ein hübscher Junge   …
    Der Freudentaumel war noch nicht vorüber, als Andrejko begriff, dass mit der Ankunft dieses Bündels für ihn etwas zu Ende ging, ab jetzt drehte sich alles nur um den Kleinen, und er, Andrejko, war plötzlich abgeschoben. Wenn er unbeobachtet war, stach er dem kleinen Milan Stecknadeln in die Füße, schüttete ihm Salz in die Milch oder versuchte ihn mit dem Kissen zu ersticken, aber der Kleine war wie alle Dunkas zählebig und hielt die Qualen aus.
    Als das Baby so kräftig war, dass es den ganzen Tag mit der Mama draußen sein konnte, nahm Ida lieber Milan statt Andrejko mit zur Arbeit. Der kleine Milan brachte viel mehr Geld ein, und da Ida es gelang, einen Teil ihrer Einnahmen vor Štefan zu verstecken, blieb manchmal auch für die anderen Kinder etwas übrig, und als Andrejko sein erstes nagelneues T-Shirt und später auch noch Schuhe bekam, hörte er auf, den Kleinen zu quälen.
    Ein Jahr später brachte Ida ein winziges Mädchen mit Stupsnase

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