Mach mal Feuer, Kleine - Roman
Ihre Eltern lebten sowieso von
čhavengere love
, und wenn sie was brauchten, dann nahmen sie es sich oder streckten die Hand aus und sagten: Gebt her …
Als Štefans Bruder Miro eine Krankschreibung brauchte, stellte ihm der Arzt gern ein Attest aus, weil er bei seinem geliebten Škoda keinen abgebrochenen Seitenspiegel oder aufgestochene |41| Reifen vorfinden wollte. Einige Wochen später tauchte Miro vor der Gesundheitskommission auf, krümmte sich dort eine Weile vor Schmerzen und wurde anschließend mit einer Invalidenrente nach Hause geschickt, inklusive der Bestätigung, dass er nie wieder mit Arbeit, Gesetzen oder anderem Gadsche-Unsinn behelligt werden solle. Als er abends mit Štefan die Rente begoss, lachte er sich scheckig über diese Ärzte, wie doof die seien, wozu brauchten die weißen Deppen überhaupt ihre Schulen, wenn man ihnen dort nicht beibringe, dass Arbeit viel weniger wichtig als Selbstversorgung sei.
Das kriegten auch die kleinen Dunkas mit, und so sagten sie es auch der Lehrerin, als sie ihnen vorwarf, nicht einmal ein ganz kurzes Gedicht pro Woche auswendig zu lernen, als sie sich sorgte, was aus ihnen werden solle. Warum Scheißgedichte lernen, ’nossin, sagten sie, unsere Eltern arbeiten auch nicht, und sie haben’s gut, besser als Sie …
Die kleinen Dunkas lebten auf der Straße, weil ihnen die Wohnung zu eng war. Auch die Schulklasse war ihnen zu eng, weil sie Quecksilber im Leib hatten, sie rauften und störten eigentlich nur aus purer Langeweile, und wenn draußen was los war, sprang gleich einer vom Stuhl und die anderen Kinder taten es ihm sofort nach, sie drängten sich vor dem Fenster zusammen und schrien und machten nach, was da unter ihnen vor sich ging, während die schwitzende Lehrerin mit dem Rohrstock auf den Tisch schlug und kreischte, bis ihr die Stimme versagte. Und die schwarzhaarigen Kinder, die im September noch ganz vorne saßen, weil sie meistens schmächtiger waren als die kleinen Gadsche, füllten allmählich die letzten Reihen des Klassenraums, weil sie dem Lehrstoff nicht folgen konnten und den anderen ein Klotz am Bein waren. Binnen weniger Wochen verabschiedeten sie |42| sich dann endgültig, sie wechselten in die Sonderschule, zu Ihresgleichen, wurden in die zweite Liga heruntergestuft – aufs Nebengleis abgeschoben, das meist zugleich auch das tote Gleis war.
Andrejko war geschickt und seine Hände waren dermaßen flink, dass nicht mal ältere Jungs mit ihm Hütchen spielen wollten. Da überlegte Štefan, dass man Andrejkos Talente nicht unnötig verkümmern lassen sollte, und beschloss, ihn erst gar nicht zur Schule zu schicken.
***
Und Andrejko enttäuschte ihn nicht. Auch wenn sein erstes
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eher aus Versehen passierte – er wollte nur kurz mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof, aber das Portemonnaie in der Einkaufstasche bot sich geradezu an, Andrejko musste sich nur ein wenig bücken … Als er die Handvoll zerknitterter Scheine zu Hause auf den Tisch legte, da kamen Ida die Tränen, und Štefan strich die Banknoten glatt, betrachtete sie gegen das Licht und wiegte den Kopf. Abends spitzte er einen Bleistift, riss die mittlere Doppelseite aus Jolankas Schulheft und schrieb mit seiner krakeligen Schrift: Laco Dunka, Zigeunersiedlung, Poljana.
Und in der im Schlamm versinkenden Siedlung trafen die allerersten Briefe überhaupt ein. Vorgelesen wurden sie vom alten Laco, der als Einziger ein wenig lesen und schreiben konnte, doch ging dies mehr schlecht als recht, weil Štefan sie in seinem gebrochenen, im Schacht aufgeschnappten Ostrava-Tschechisch schrieb, beim Schreiben aber auf Romani dachte, und Laco musste in Poljana seine Briefe zurück ins Romani übersetzen, weil in der Siedlung niemand etwas anderes sprach. Laco übersetzte Štefans Briefe jedes Mal |43| anders, er fantasierte sich einiges zurecht, und die Dunkas regten sich auf, dass er nicht richtig lese, sie rissen ihm den Brief aus der Hand und versuchten selbst, das Geschriebene zu entziffern, merkten es aber meistens nicht einmal, wenn sie das Doppelblatt aus Jolankas Heft verkehrt herum hielten.
Andrejkos Ruhm wuchs stetig. Von seiner Auffassungsgabe und seinen flinken Fingern wurde Legendäres berichtet, nicht nur in Poljana und Snina, sondern auch in Medzilaborce oder Humenné. Die Dunkas lebten auf. Ihre Augen, an Schlamm und Dreck gewohnt, wurden hell wie früher, als sie noch mit Pferden, offenem Feuer und Planwagen gelebt hatten, sie füllten sich
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