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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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auf dem Schoß die Bäuche vollschlugen; sommersprossige Jungs in Matrosenhemden und niedliche Mädchen in rosa Kleidchen mit Schleifen im Haar. Ihre Mütter nippten derweil an ihrem Kaffee und wischten von den rosigen Wangen ihrer Sprösslinge und von den Plüschschnäuzchen und Porzellanmündern die Sahne ab   … Diese Ungerechtigkeit raubte Andrejko den Schlaf, ganze Nächte hindurch schluchzte er, hielt das Kreuz seiner Mama in der Hand und verschmierte sich die Tränen über die schmuddeligen Wangen.
    Eines Tages würde er es ihnen zeigen, schwor er sich und ballte die Hände zu Fäusten, die würden alle nur staunen. Wenn er groß ist, würde er Jolanka heiraten. Sowieso schlief er jetzt schon mit ihr unter einer Decke, wie der Onkel mit Tante Ida, und einmal würde er um ihre Hand bitten, da würden alle große Augen machen. Dann träten sie zur Seite, damit er durch ihre Mitte schreiten könne, er, Andrejko, fein angezogen, in einem weißen Hemd, er würde ganz lässig in die Tasche greifen und den kleinen Rotznasen eine Handvoll Münzen zuwerfen, damit alle sähen, dass sie es nicht mit einem armen
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zu tun hatten, für den man nur verächtliche Blicke übrig hatte, weil er durch Schlamm stapfte und |38| Hunde fraß   … Die würden schon merken, dass er es zu was gebracht hatte und dass ihm das hübsche Schwesterchen zustand.
    Und seine Kinder würden nicht auf der Straße herumlungern und ihre Näschen an den Schaufenstern platt drücken, sie würden nicht mit einem leeren Pappbecher durch die Bahnhofshalle irren müssen. Seine Kinder würden den ganzen Tag nur Achterbahn fahren und danach drinnen am Tischchen Platz nehmen und sich den Bauch mit Süßigkeiten vollschlagen   …

|39| 5.
    Štefan hielt nichts von der Schule. Hinschicken musste er die Kinder schon, aber er tat es nur unwillig und zog dabei über die beschissene Schule her, sie tauge nichts, würde den Kindern nur die Seele rauben, für die Bildung sei sowieso er zuständig, er habe Lesen und Schreiben im Schacht gelernt, mehr brauche er nicht, und für die anderen müsse das auch reichen.
    Mit Ausnahme von Štefan waren alle Dunkas Analphabeten. Doch wenn es um Geldauszahlungen ging, setzten sie stolz und gern ihre Unterschrift aufs Formular, auch wenn manche von dem ganzen ABC nur die paar krakeligen Druckbuchstaben kannten, aus denen sich ihr Name zusammensetzte. Die Übrigen quittierten die Auszahlung mit drei Kreuzchen. Dafür war jeder Dunka von klein auf gut im Rechnen, damit man ihn in der Altpapiersammelstelle an der Waage oder in der Kneipe beim Zahlen nicht beschubste. Allerdings konnten manche von ihnen nur nach Farben zählen: der Fünfziger war rot und der Hunderter grün   … Und was ihre Ansprüche betraf, die Gesetze, die alles festlegten, da kannten sie sich besser aus als die Anwälte beim Ortsamt, die erst lange in Gesetzessammlungen blättern mussten, um sicherzugehen, dass sie wirklich verpflichtet waren, den Dunkas für Kohle, Schulkantine oder neue Möbel Geld auszuzahlen. Auch die Verhältnisgleichung hatte Štefan schneller |40| kapiert als alle Dozenten, Professoren, Inhaber von Lehrstühlen für Angewandte Mathematik und überhaupt alle Akademiker: je mehr Kinder, desto mehr Geld, Zigaretten und Branntwein.
    Die Kinder taten sich schwer in der Schule. Sie konnten sich bemühen, wie sie wollten   – sie hatten keine Chance, weil zu Hause Romani gesprochen wurde. Selbst wenn sie tschechisch sprachen, dachten sie auf Romani, denn ihre Muttersprache lag irgendwo unter ihrer Zunge verborgen, und es dauerte eine Ewigkeit, bis sie sich die Worte der Lehrerin übersetzt hatten, und beim Antworten mussten sie schon wieder übersetzen; mühselig angelten sie dabei nach tschechischen Wörtern und all den komplizierten Formen, Fällen und Zeiten. Sie waren es nicht gewohnt, ruhig in der Bank zu sitzen, zuzuhören oder zu zeichnen, und der Füller und die Kleckse, die unter ihren Händen erblühten, machten sie unglücklich. Mühsam entzifferten sie einen Buchstaben nach dem anderen, waren aber nicht imstande, aus ihnen Silben und Wörter zusammenzusetzen. Und wenn sie sich bis ans Ende eines Satzes durchgekämpft hatten, wussten sie nicht mehr, was am Anfang gestanden hatte, weil die Wörter für sie keine Bedeutung hatten, es waren Anhäufungen von Buchstaben in einer fremden Sprache, dem komplizierten und verhassten Tschechisch, der Sprache der Weißen, dem
Gadžikanes
.
    Warum sollten sie auch etwas lernen?

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