Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
Vom Netzwerk:
und wunderschönen schwarzen Augen zur Welt, zart wie ein Gänseblümchen. Štefan runzelte die Stirn: ein Mädchen, Mädchen zählten nicht als Kinder, wenn jemand wissen wollte, wie viele Kinder du hast, fragte er nach deinen Söhnen. Aber da Štefan schon genug Söhne hatte und die |35| Kinderzulage auch für Mädchen galt, nahm er die Kleine an. Er beugte sich über sie, legte ihr ein Fünf-Kronen-Stück in die Hand, und zum Schutz vor bösen Kräften band er ihr eine rote Schleife ums Handgelenk. In diesem feierlichen Moment vergaß Štefan sein Tschechisch und sagte auf Romani:
Kaj dži andre tiro meriben love te gines   …
Mögen dich Geld und Gesundheit bis an dein Lebensende begleiten   …
    Der Kleinen gab man den Namen Anetka, aber da sie noch dunkler war als die anderen Kinder, nannte man sie bald
Kalori
, die Schwarze.
     
    Andrejko erkannte schnell, dass das Wichtigste auf der Welt
mergle
waren, Moneten, Penunze. Zu Hause konnte er schlafen, dort bekam er was zu essen, manchmal sogar abgetragene Kleider von seinen Cousins, aber das reichte vorne und hinten nicht. Er hätte sich so gerne Eis oder Schokolade gekauft, wäre ins Kino gegangen, hätte so gerne eigenes Spielzeug gehabt, Autos und Plüschtiere wie die kleinen Gadsche. Andrejko träumte von Spielsachen, von Eis und einem neuen weißen Hemd, aber ihm war klar, dass ohne Geld, Moneten und Penunze seine Träume nur Träume bleiben würden. Doch er hatte keine Lust zu warten, bis er groß sein und so viele Kinder in die Welt gesetzt haben würde wie Onkel und Tante, damit er die Kinderzulage bekäme und jemanden hätte, den er zum Abschneiden von Kabeln, Abschrauben der Aluverkleidung von den Straßenlampen, zum Betteln vor dem Bahnhof oder auf den Strich schicken könnte. Andrejko brauchte das Geld früher. Noch heute, sofort.
    Die Gadsche, die Weißen, die hatten schon immer auf der anderen Seite des Flusses gelebt, sie gehörten zu einer anderen Welt, die konnte man ohne Skrupel austricksen oder bestehlen. Das eigene Fleisch und Blut jedoch zu bestehlen |36| war ein Verbrechen. An einem Gadsche klebt das Geld, einem Dunka aber pfeift der Wind durch die Hosentaschen, und auch wenn er mal etwas herangeweht haben sollte, bläst er das umso schneller wieder fort   …
    Für die Dunkas aus Poljana hatte Besitz nie eine Rolle gespielt, für sie war das Leben wichtig, das verschlafene Blinzeln gegen die Sonne, das Singen und das Schluchzen ihrer Geigen. Sie hatten immer nur gerade so viel besessen, wie in einen Pritschenwagen hineinpasste oder im Zug mitgenommen werden konnte, etwas Kleidung und rußgeschwärztes Kochgeschirr, die reicheren hatten noch eine Bettdecke. Und vielleicht etwas Gold, Ringe, Armreifen und Ohrringe, ihr einziges Hab und Gut, das weitergereicht und vererbt wurde.
    Häuser, Felder oder Wiesen hätten sie erstickt, dort hätten sie den Rücken krumm machen und arbeiten müssen, aber sie konnten weder pflügen noch eggen, sie konnten weder Kartoffeln setzen noch Getreide säen, denn die Ernte hätten sie erst in einem Jahr gesehen   … Dafür schnappten sie sich manchmal des Nachts ihre Körbe und Taschen und zogen auf die Felder der Gadsche, um das zu ernten, was der Herr für alle gesegnet hatte. Die nächtliche Ernte war dann bis zum nächsten Morgen aufgegessen   …
    So hatten seit Jahrhunderten die Slowaken und die Ruthenen neben den Zigeunern gelebt, die einen in Häusern und Hütten, die anderen in Bruchbuden und Erdlöchern. Für alle gab es in Poljana einen festen Platz, und niemals wäre einer auf die Idee gekommen, die beiden Welten voneinander zu trennen, geschweige denn mit einer Mauer unpassierbar machen zu wollen. Die Erwachsenen schienen auch in Prag keine Probleme zu haben, sie zerbrachen sich darüber nicht den Kopf, aber ihre Kinder, die auf den Straßen von Žižkov zu Hause waren, die nahmen dieses Zusammenleben anders |37| wahr, diese Kinder sahen die Kluft, die zwischen der schwarzen und der weißen Welt klaffte.
    Schmuddelige Zigeunerkinder lümmelten auf dem Jahrmarkt herum, schnorrten Geld für Zuckerwatte und linsten neidisch zu den kleinen Gadsche, die auf dem Karussell oder auf einer Schaukel thronten. Kleine Zigeuner traten sich vor Spielzeuggeschäften die Beine in den Bauch, standen vor Konditoreien herum, angelockt von dem Duft frisch gebackener Torten und heißer Schokolade, und pressten ihre Näschen gegen die Fensterscheiben, hinter denen sich kleine Gadsche mit Teddybären und Puppen

Weitere Kostenlose Bücher