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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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Anetka wehgetan hatte, so sehr, dass er nicht mehr hatte leben wollen   … Jetzt beschäftigte ihn nur noch die Frage, wo er für sie die ersten Schneeglöckchen finden könnte, die ersten Frühlingsboten.
    |302| Als es einige Tage später endlich milder wurde, saßen sie beide auf der Treppe und ließen sich wie alte Katzen wohlig von den Sonnenstrahlen wärmen, blinzelnd betrachteten sie die ersten Schlüsselblumen und die Weidenkätzchen, begeistert lauschten sie dem Zwitschern und Trällern der Vögel und wunderten sich, wo diese auf einmal herkamen, wo sie denn die ganze lange Winterzeit bloß gesteckt hatten. Aus den graugelben Grasbüscheln vom Vorjahr sprossen neue Halme, am steinigen Bachufer zeigten sich die ersten Dotterblumen, und auch die Birken über der Siedlung zogen ihr feinstes samtenes Blätterkleid an, frischer Saft schoss in die Knospen, und die Buchenhänge sahen von Weitem aus, als hätte man sie mit einer aus dünnem Kupferdraht geklöppelten Spitze überzogen. Bald aber barsten die rostbraunen Spindeln und seidige grüne Zipfel drängten ans Licht, sogar die alten Eichen und Schwarzbuchen warfen ihr raschelndes vorjähriges Blattwerk ab. Die Blätter der Ahornbäume streckten sich aus wie Menschenhände, die nach Sonne und Wärme hungerten.
    Als hätte ein Zauberglöckchen geklingelt und jemand seinen warmen Atem sanft auf die durchgefrorenen Hände gehaucht. Die weiße Bettdecke, unter der die vor wilden Farben strotzende Palette des verrückten Herbstmalers verborgen lag, wurde gelüpft, die Erde breitete ihre Arme aus, die Berge erwachten aus ihrem Winterschlaf.
    Der Frühling war da.
     
    Von der Sonne und dem Walpurgisfeuer wurde Anetka ganz sonderbar zumute, an manchen Tagen lief sie nur unruhig durch den Wohnwagen und trat gegen den Tisch oder gegen die Tür, dann wieder saß sie die ganze Zeit am Fenster oder auf der Treppe und starrte in die Ferne. An anderen Tagen |303| sprang sie plötzlich auf, legte Darja in den Kinderwagen und eilte davon, um atemlos, zerzaust, mit zerknittertem Kleid und Grashalmen im Haar zurückzukommen. Oder sie wartete, bis die Kleine schlief, und lief allein ins Dorf, so schnell, dass unter ihren Sohlen Staubwolken hochwirbelten und die Zipfel ihres Kleides wie Fähnchen hinter ihr herflatterten. Darja wachte auf, wenn ihre Windel nass war, sie stand dann im Bettchen, streckte die Arme zur Tür und weinte, bis sie sich schließlich voller Angst zusammenkauerte und an ihre Puppe schmiegte.
    Wenn die Mama dann endlich zurückkam, war es die beste und süßeste Mama auf der ganzen Welt, sie war zwar außer Atem und verschwitzt, aber lieb und nett, machte Darja rasch eine neue Windel und gab ihr warme, gesüßte Milch, die Kleine nuckelte zufrieden an ihrer Flasche, sie wusste ja, dass die Mama jetzt zu Hause bleiben und bald auch der Papa in der Tür auftauchen, sie auf den Schoß nehmen und mit ihr spielen würde: Heia jahei, heia jahei, so trottet die Kuh von der Weide, so trabt der kleine Herr auf dem Pferd, so fährt der große Herr im Galopp, und so saust die kleine Darja hoooch   … Und die Kleine flog fast bis zur Decke, sie lachte und ihre ersten Zähnchen leuchteten, manchmal musste sie aber auch von der schnellen Bewegung erbrechen, und dann wurde Mama wütend, sie schnappte sich einen Kochlöffel und ging auf Papa los. Sie jagte ihn um den Wohnwagen, der Kater sprang von seinem Lieblingsplatz in der Sonne, und mit eingezogenem Schwanz verschwand er unter dem Wagen. Darja kringelte sich vor Lachen. Wenn sie aber sah, wie Papa Mamas Kleid hochschob, wie er es ihr vom Leib riss, fing sie an zu weinen, er sollte Mama nicht wehtun   … Andrejko atmete hastig und raunte Anetka zu, Darja sei doch noch klein, sie verstehe das nicht, Anetka aber schämte sich, fand es |304| jedoch zugleich sehr erregend und flüsterte: Andrejko, mein Andrejko   … doch in Gedanken weilte sie irgendwo anders.
     
    Anetka war längst nicht mehr das schüchterne und unglückliche Zigeunermädchen, über das jeder lachte, sie war kein Fohlen mehr, das mit seinen zu lang geratenen Beinen nichts anzufangen wusste.
    Eines Tages saß sie vor dem Lebensmittelladen, schaukelte den Kinderwagen und blinzelte faul in die Sonne. An der Haltestelle warteten einige Leute auf den Bus, unter ihnen auch der alte Jankura. Sie spielte mit einigen Münzen in ihrer Rocktasche, und ihre Augen glänzten, sie ertastete ein Zehn-Halíř-Stück und schnickte es vor sich auf den Boden. Die

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