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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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Vogelnestern oder lauerte Mäusen auf dem Feld auf, dann wieder lief er bis zum Bach, saß dort vor einer flachen Stelle und wunderte sich, wohin der andere Kater verschwand, wenn er mit der Tatze nach ihm krallte.
     
    |296| Im Sommer, als es im Wald richtig viel zu tun gab, legte Andrejko etwas von seinem Lohn auf die Seite. Eines Tages ließ er sich direkt vom Wald aus nach Snina fahren, und abends stellte er eine mit blauem Samt ausgeschlagene Schachtel mit riesigen Ohrringen und einem Goldkettchen vor Anetka auf den Tisch. Vor Unsicherheit bebten seine Hände, aber Anetkas große schwarze Augen leuchteten auf: ihre Augen, in denen alles sofort zu sehen war, ob Freude, Wut oder Kummer, manchmal strahlten sie und manchmal blickten sie nur starr vor sich hin, als hielte sich seine Liebste anderswo auf. Doch jetzt standen Anetkas Augen offen wie ein Fenster in dunkler Sommernacht, sie band sich die Kette um, legte die Ohrringe an, schlüpfte in ein Kleid so weiß wie frisch gefallener Schnee und stellte sich vor den Spiegel. Sie konnte sich nicht sattsehen an ihrem Anblick, schleppte den Spiegel sogar nach draußen, drehte sich hin und her und bewunderte entzückt, wie das Gold in der Sonne glänzte. Immer wieder fiel sie Andrejko um den Hals und immer wieder prüfte sie im Spiegel, wie gut ihr der Schmuck stand. Dann zog sie auch Darja schön an, legte sie in den Kinderwagen und fuhr sie ins Dorf spazieren. Die Weiber im Lebensmittelladen werden vor Wut platzen, dachte Andrejko, und die Männer kriegen es gleich abends ab, wenn sie aus der Schenke nach Hause kommen, ihm war, als könnte er es jetzt schon hören: Mit nacktem Arsch sind diese Rotznasen hier angekommen, und jetzt   …, aber der Kater stupste ihn an und Andrejko winkte ab, streichelte ihn und dachte nicht weiter darüber nach.
     
    Nach Neujahr wurde auf dem Ortsamt eine neue Flagge mit einem zweiarmigen Kreuz gehisst. Was bist du bloß für ein Dummkopf, lachten die Holzfäller, als Andrejko wissen wollte, was es damit auf sich hatte, hörst du denn kein Radio? |297| Wir sind unabhängig! Wir haben einen eigenen slowakischen Staat!   … Wie ist es eigentlich mit dir? Sie weideten sich genüsslich an seiner Verlegenheit, sag doch, du bist in Poljana geboren, dein Weib stammt aus Pilsen   … Na, hilf dir Gott, wenn du’s selber nicht kannst, Andrej! Sie kringelten sich vor Lachen, wurden dann aber gleich wieder ernst: Gott ist hoch oben und Prag weit, Bratislava aber mindestens genauso, und unseren Speckjägern ging’s ohnehin nur um die Umverteilung von Amt und Trog, um mehr nicht, und sobald die Neuen das Grunzen gelernt haben, läuft alles wie früher   …
    Aber Andrejko hörte nicht mehr zu, er starrte vor sich hin und dachte an Tibor, der nun auf der anderen Seite der Grenze war, und er fühlte sich, als würde man ihm bei lebendigem Leibe einen Körperteil absägen, denn sein ganzes Leben lang hatte er mit einem Bein im slowakischen Poljana und mit dem anderen im tschechischen Pilsen gestanden, in einer Grätsche zwischen dem scharfen
horilka
und dem bitteren Urquell, zwischen den Bergen, in denen man tagelang keinen Menschen traf, und den Städten, in denen es wie in einem Bienenstock summte. Er dachte an die Eisenbahnzüge, die wie Perlen an einer Schnur hingen, an das eisenbeschlagene Band, mit Millionen von Schwellen unterlegt, er dachte an die Gleise, die dieses lang gezogene Land wie ein mächtiges Rückgrat gestützt hatten und nun verstümmelt wurden durch eine Grenze, die keiner haben wollte   …
    Auf dem Nachhauseweg legte ihm Paľo Jasenčák einen Arm um die Schultern. Das wird schon wieder, sagte er zu Andrejko, denk einfach nicht darüber nach! Eine seiner Töchter lebe in diesem Tschechien, er seufzte, sein Sohn wiederum in Snina, der habe sich scheiden lassen, und er, Paľo, habe seit Jahren seine Enkelkinder nicht gesehen   … Die |298| Kinder hat auch keiner gefragt, sagte Paľo langsam, genauso wenig wie uns   … Paľo drohte die Stimme zu versagen, sogar seine Schritte wurden schwer.

|299| 23.
    In einer stürmischen Märznacht machten sie beide kein Auge zu. Draußen wütete der Wind, er peitschte schwere Regentropfen gegen den Wohnwagen, der Kater verkroch sich in eine Ecke, und Darja wälzte sich in ihrem Bettchen. Sie weinte und wimmerte im Schlaf, Anetka hielt ihre Hand, die Kleine war ganz heiß und verschwitzt, ihre Stirn und ihre Wangen glühten, Anetka hingegen schlotterte vor Kälte, sie weinte und

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