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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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mit Licht und Zuversicht und waren wieder voller Hoffnung auf ein neues Leben, ein Leben in jenem fremden Land, in dem es Andrejko so gut ging und es eines Tages auch ihnen gut gehen würde. Wie Zugvögel verließen sie ihre Nester, wie Schwalben, die dem Ruf warmer Länder folgen, oder Wildgänse, die der Sonne hinterherfliegen.
     
    Der letzte Schnee war noch nicht geschmolzen, nicht alle Wege von der Sonne getrocknet, als die Dunkas anfingen, alles zu verkaufen, was sich verkaufen ließ, und nachdem sie den letzten Hund und das letzte Huhn gegessen hatten, brachen sie auf. Nicht nur die Dunkas aus Poljana verließen ihre im Schlamm versinkenden Siedlungen, auch die verwandten Kotlárovci aus Zboj und die Dunkas und Lakatoš aus Snina, die sich
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, die Herrschaften, nannten, um sich von den
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auf dem Land zu unterscheiden, machten sich auf den Weg. Sie ließen ihre Erdlöcher und Hütten zurück, spannten sich vor ihre Bollerwagen und zogen zum Bahnhof, um dort zum ersten Mal in ihrem Leben einen Zug zu besteigen. Kopflos ließen sie sich in die Dunkelheit fallen und strebten dem verführerischen Widerschein der schlanken Türme, ausladenden |44| Kirchen und roten Krempziegeldächer entgegen, irgendwo weit hinter dem Horizont.
    Sie hatten noch nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt, als der alte Laco vom Sitz sprang und zur Tür stürzte, er wollte raus, sofort, der Zug fahre zu schnell, und er, Laco, seine Seele, bliebe zurück   …
     
    Und dann zogen sie in einer Horde durch die Straßen von Prag. Die Frauen schwitzten in ihren langen Röcken; auf den Armen, in bunte Tücher eingewickelt, trugen sie kleine Kinder, die Männer stützten buckelige Greisinnen und ächzten unter schweren Rucksäcken, Taschen und Pappkartons, ein jeder hatte ein sorgfältig zugeknöpftes weißes Hemd und einen schwarzen Anzug an, auf dem Kopf einen schwarzen Hut, den er niemals abnehmen würde, selbst wenn er vor Hitze umkommen sollte. Einer trug eine Geige unterm Arm, ein anderer schleppte ein mit einem dünnen Band verschnürtes Federbett; über den glühenden Asphalt, der übersät war mit herumliegenden Kippen, scharfen Glasscherben und rostigen Kronkorken, tanzten und hüpften nackte Kinderfüße, von Lacos Schulter baumelte ein Strick, als würde er hier auf der Straße ein Huzulen-Pferdchen fangen wollen   …
    Plötzlich blieb Laco mitten auf der Straße stehen, nahm weder das Klingeln der Straßenbahn noch das Hupen der Autos wahr, die ihm ausweichen mussten, sein Blick ging in die Ferne, über die Dächer hinaus in den Himmel, der mit Stromleitungen, elektrischen Drähten und den verzierten Giebeln der Mietshäuser zugenäht war, und er fing an zu weinen.
     
    Štefan kam ihnen auf der Pawlatsche entgegen, schloss jeden stürmisch in seine Arme und küsste sie ab,
O Del tumen
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anďa, lačho ďives,
lud er sie ein, gebe Gott euch einen guten Tag   … Die Frauen wischten sich die Tränen ab, die Männer schrien und klopften sich auf die Schultern, manche von ihnen begegneten sich zum ersten Mal in ihrem Leben, obwohl ihre Siedlungen nicht weit voneinander entfernt gelegen hatten. Štefan schenkte Schnaps ein und schickte gleich noch ein Gläschen hinterher, denn auf einem Bein steht es sich schlecht, und aus reiner Freude folgte flugs noch ein Gläschen für das dritte Bein. Stolz geleitete er seine Gäste über die Pawlatsche. Die Kinder lugten neugierig in die anderen Wohnungen hinein, und die Erwachsenen versammelten sich vor dem Spülbecken, drehten staunend den Wasserhahn auf und bespritzten sich mit Wasser, die Frauen rafften ihre Röcke und probierten der Reihe nach die Wassertoilette aus, die Männer standen am Lichtschalter und machten abwechselnd das Licht an und wieder aus und jauchzten dabei vor Freude wie kleine Kinder. Denn in der Siedlung gab es keinen Strom, den hatten nur die Gadsche im Dorf, während sich die Dunkas nicht einmal das Petroleum für die Lampen leisten konnten, statt Glasscheiben hatten sie Kartoffelsäcke in den Fenstern hängen, und das Wasser holten sie aus demselben Bach, in dem ihre Kinder sich Schlammschlachten lieferten und den sie alle als Abort benutzten. Aber bis zum heutigen Tag hatte sich keiner von ihnen den Kopf darüber zerbrochen, weil nach dem nächsten Regenguss alles wieder rein war, wie schmutzige Kleider nach der Wäsche, außerdem hatte selbst der Pope beim letzten Besuch in der Siedlung gesagt, der Mensch sei Staub und würde wieder zu Staub

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