Mach sie fertig
seinen Kontakten umhören. Nachfragen, ob sie Scopolamin, eine Injektionsflüssigkeit, besorgen konnten.
Früher Morgen: Thomas wieder unterwegs in privaten Ermittlungen. Dieses Mal vor dem Haus von Torbjörn Jägerström in Huddinge. Er musste an den Reinfall mit Winge denken. Das Risiko, das er eingegangen war. Und wieder: Wenn Winge nun doch kapiert hatte, wer er war? Er musste dafür sorgen, dass Åsa eine Waffe bei sich trug. Oder noch besser, für ein paar Monate irgendwohin wegzog, bis die Sache überstanden wäre. Verdammt auch, bald sollten sie ja Sander holen.
Torbjörn Jägerström wohnte in einem Haus, das genauso groß war wie das von Thomas. Kein Villengebiet wie Bromma, wo Winge residierte. Kein großes, exklusives Anwesen wie das von Runebys. Ganz normal. Jägerström war der Jüngste der Truppe, siebenundvierzig. Er konnte nicht älter als fünfundzwanzig gewesen sein, als er sich den anderen Kerlen angeschlossen hatte. Heute war er für das Einsatzkommando auf Norrmalm verantwortlich. Externer Offizier. Hatte es zu was gebracht.
Thomas hatte bereits drei-, viermal morgens hier vor seinem Haus gesessen. Hatte sich Jägerströms morgendlichen Ablauf und den von seiner Frau eingeprägt. Inzwischen blickte er durch: Die Frau ging eine halbe Stunde vor Jägerström zur Arbeit. So würde es auch heute sein.
Er sah auf das Thermometer im Wagen. Die Kälte war schleichend gekommen. Der Oktober war der schlimmste Monat im Jahr, möglicherweise auch der November. Der gesamte Winter lag noch vor einem, keine Besserung in Sicht.
Jägerströms Frau kam exakt zur selben Zeit aus der Haustür wie beim letzten Mal, als er hier gewesen war. Gestresste Schritte. Eine Handtasche unterm Arm. Gepflegtes Auftreten, Bürodress. Er fragte sich, was sie wohl arbeitete.
Er wartete noch eine Weile.
Warf noch einmal einen Blick in die kleine Ledertasche neben sich. Ein breites Gummiband. Eine Kanüle. Zwei Ampullen mit Scopolamin. Er öffnete die Wagentür. Ging auf das Haus zu. Klingelte.
Es dauerte lange, bis Torbjörn Jägerström öffnete. Kräftige Statur. Offenes Hemd. Chinos. Dicke Goldkette mit einem Thorhammer um den Hals. Ein Gesichtsausdruck, der starrer als der einer Leiche war.
»Guten Morgen«, sagte Thomas.
»Guten Morgen. Und was wollen Sie, wenn ich fragen darf?«
»Ich komme von der Landesversicherungsanstalt, und wir führen eine kleine Untersuchung in diesem Gebiet durch, um zu ermitteln, welche Hausratsversicherungen die Anwohner abgeschlossen haben.«
Jägerström starrte ihn an. »Ich kenne Sie doch.«
Verdammt auch. Thomas hatte dasselbe gedacht, als die Tür geöffnet wurde. Er musste Torbjörn Jägerström in irgendeinem beruflichen Zusammenhang schon mal begegnet sein. Aber er hatte keine Zeit zu verlieren. Feuerte einen gezielten Schuss aus der Elektropistole auf Jägerströms Brust ab. Spürte die Vibrationen bis hinauf in seinen eigenen Arm, die Muskeln spannten sich unweigerlich an. Jägerström fiel in sich zusammen. Thomas schloss die Tür hinter ihnen. Beugte sich runter, wühlte in seiner Tasche. Nahm das Gummiband raus, zog es an Jägerströms Oberarm fest. Strich über den Unterarm. Suchte nach Venen. Nahm die Kanüle zur Hand. Stach zu. Drückte zwei volle Dosen Scopolamin hinein.
Wartete. Dachte über das Präparat nach. Scopolamin: muskelentspannend mit beruhigender Wirkung. Normalerweise wendete man die Substanz zur Schmerzlinderung vor Operationen an. Allerdings war sie auch der aktive Bestandteil des Wahrheitsserums.
Nach einer halben Stunde kam Jägerström wieder zu sich. Thomas hatte ihn in einen Sessel im Wohnzimmer befördert. Zur Sicherheit seine Hände getapt. Er war der King.
Das Zimmer erinnerte an Runebys Wohnzimmer. Die gleichen dunklen Bücherregale mit gerahmten Familienfotos, einem Nachschlagewerk, Guillous gesammelten Hamiltonbüchern und diversen Titeln von John Grisham und Tom Clancy. Das Einzige, was sich von Runebys Wohnzimmer unterschied, war das Fehlen von Fotografien an den Wänden. Stattdessen hing an der Wand eine großflächige Lithographie mit zwei trommelschlagenden Jungen, die nebeneinander über ein schneebedecktes Feld wanderten. Thomas erkannte das Motiv wieder: Björneborgarnas marsch. »Der Marsch des Björneberger.« Die beiden männlichen Trommler, die eine alte Soldatenuniform trugen, sollten die beiden Volksgruppen in Finnland repräsentieren, Schweden und Finnen, die gemeinsam für die Unabhängigkeit ihres Landes stritten.
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