Mach sie fertig
ihn wartete.
Fünf Minuten später. Er war zu Hause. Mama war noch auf der Arbeit.
Das Schlafzimmer in seiner Wohnung war spärlich möbliert. Ein 120 er Bett in der einen Ecke. Ein Kissen und eine Decke. Ein Plakat aus dem Moderna Museet an der Wand – von irgendeiner Ausstellung von vor fünfzehn Jahren – mit merkwürdig abstrakten Frauengestalten. Catharina hatte es mitgebracht, als sie nach den Ereignissen in ihrem Haus zu ihm gekommen war. Weiße IKEA -Kleiderschränke, die unnötig groß waren. Bei einem von ihnen hing die Schranktür schief.
Er legte sich aufs Bett. Die Tablettenschachtel auf dem Boden.
Dachte: verdammte Ratten in der Umgebung. Scheißratten auf der Joggingstrecke. Und jetzt auch noch: Rattenhölle in der U-Bahn.
Er nahm zwei Fünfmilligrammtabletten zur Hand. Zerbrach eine in der Hand. Legte sich die ganze und eine halbe auf die Zunge. Ging in die Küche. Trank einen Schluck Wasser. Schluckte sie herunter.
Legte sich aufs Sofa im Wohnzimmer.
Schaltete den Fernseher ein. Versuchte sich zu entspannen.
Wachte nach wenigen Minuten wieder auf.
Er hörte Stimmen. Geräusche aus dem Fernseher? Nein.
Erneut, lautstarke Stimmen, ganz in der Nähe.
Sie kamen von
der anderen Seite der Wand
. Jemand schrie.
Er schnappte etwas auf. Arabische Diphthonge.
Er lauschte. Stellte den Fernseher leiser.
Nach einer Weile begriff er. Streit in der Wohnung nebenan. Es musste die junge Frau sein, die er im Treppenhaus getroffen hatte. Ja, er hörte eine Frauenstimme. Und noch jemand anderen. Vielleicht ihr Freund, Vater,
Liebhaber. Sie schrien sich an. Brüllten. Störten ihn.
Er versuchte zu verstehen, worüber sie stritten. Niklas’ Arabisch: Basics, aber ausreichend, um Schimpfworte rauszuhören.
»Scharmuta«, schrie die Männerstimme da drinnen. Das war heftig – Hure.
»Kh’at um’n!« Noch heftiger – fick deine Mutter.
Sie schrie noch lauter. Schriller. Aggressiver. Mit Panik in der Stimme.
Niklas setzte sich auf. Hielt den Kopf dichter an die Wand.
Spürte, wie er in Stress geriet – Beklemmung darüber, ungebeten am Privatleben anderer teilhaben zu müssen. Und noch schlimmer: Beklemmung über die Stimme der Frau da drinnen.
Sie kreischte regelrecht. Dann folgte ein dumpfes Geräusch. Die Frau verstummte. Der Mann schrie: »Ich werd dich töten.«
Weitere polternde Geräusche. Die Frau begann zu beten. Flehen. Wimmerte, er möge aufhören.
Dann ein anderer Ton, ohne Aggressivität.
Voller Schrecken. Eine Tonlage, die Niklas schon so oft zuvor gehört hatte.
Dieses Geräusch war ihm weitaus geläufiger als alles, was er jemals auf Arabisch gehört hatte.
Bekannter.
Eher wie die Wiederholung seiner eigenen Geschichte.
Die Braut in der Nachbarwohnung bezog Prügel.
9
Abendessen: Schweinefilet mit gebackenen Kartoffeln. Sahnesoße mit Knoblauch und Salat. Thomas ließ den Salat liegen. Ehrlich gesagt: Gemüse war was für Weiber und Kaninchen. Real men don’t eat
sallad
, wie Ljunggren sagte.
Åsa, seine Frau, saß ihm gegenüber – plapperte drauflos wie immer. Heute ging es um den Garten. Er schnappte das ein oder andere Wort auf. Strohblumen, Direktaussaat im Mai, für den Sommer schwach duftende Blumen der Sorte Iberis in unterschiedlichen Farbtönen.
Der einzige Duft, den er kannte: der Gestank von Schmutz, Gewalt und Tod. Der den Polizisten auf Streife dauerhaft anhaftete. Unabhängig davon, wie sehr man versuchte, an etwas anderes zu denken – der Gestank der Stadt setzte sich fest. Die einzigen Farben, die er sah: betongrau, polizeiblau und blutrot infolge falsch angesetzter Kanülen und von Misshandlungen. Unabhängig davon, wie viele Blumen Åsa pflanzte, die Farben der Gewalt waren immer die ersten Farbtöne, die in seinem Kopf auftauchten.
Für manche Menschen war Stockholm eine hübsche, reizvolle, ursprüngliche Stadt. Pittoreske Kulisse mit zuvorkommenden und offenherzigen Menschen, sauberen Straßen und attraktiven Shoppingmeilen. Für die Bullen war es eine Stadt voller Sprit, Kotze und Pisse. Für viele bestand sie aus öffentlichen Einrichtungen, in denen Gleichberechtigung herrschte, interessanten Kulturprojekten, modernen Cafés und eindrucksvollen Fassaden. Für andere – lediglich Fassade. Dahinter: Bierkneipen, Säufertreffs, Bordelle. Misshandelte Frauen, die sich in Gesellschaft von Leuten bewegten, die ihre blauen Flecken im Gesicht ignorierten, Heroinfixer, die sich für ’ne halbe Stunde in den nächstgelegenen Konsum
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