Mach sie fertig
Mama hat nie irgendwas Schlechtes über sie gesagt. Keine Kriminellen, oder so. Nicht mehr.«
»Nicht mehr?«
»Tja, als ich klein war, haben wir ja auch schon dort gewohnt. Und da war es nicht gerade das ruhigste Haus in der Stadt.«
»War es laut? In welcher Weise?«
»Na ja, Axelsberg in den frühen Achtzigern eben, bevor ’ne Menge junger, hipper Menschen dort hingezogen sind. Damals war es noch das reinste Arbeiterviertel, wenn Sie verstehen. Mit ’ner ganzen Menge Alkoholikern und so.«
»Okay, Sie dachten also an niemand Spezielles?«
»Im Prinzip wohnen ein paar von ihnen noch im Haus. Engström zum Beispiel. Aber es gab noch ein paar andere seltsame Typen. Wie Lisbet, Lisbet Johansson. Sie war extrem schrullig.«
»In welcher Hinsicht?«
»Sie hat immerzu im Treppenhaus geschrien und so. Ich erinner mich noch an die Situation, wie sie sich einmal mit meiner Mutter in der Waschküche gestritten hat. Und wie sie versucht hat, mit ’nem Wäschekorb auf sie einzuschlagen. Sie mussten sogar die Polizei rufen.«
Niklas verstummte. Hatte das Gefühl, zu viel gesagt zu haben. Aber vielleicht war es auch in Ordnung. Irgendeinen Brocken musste er diesem Hägerström ja hinwerfen.
»Aha, das klingt nicht gerade angenehm. Und was ist dann passiert?«
»Nichts ist passiert. Mama hat versucht, ihr seitdem auszuweichen. Und ich kann mich nicht erinnern, was ich gemacht hab. Ich war damals noch zu klein.«
»Klingt ziemlich merkwürdig, diese Geschichte. Und sie wohnt immer noch im Haus?«
»Nein, ich glaub nicht. Ich weiß nicht, wo sie jetzt wohnt.«
»Das werden wir untersuchen müssen.«
Hägerström tippte frenetisch auf seiner Tastatur.
»Dann habe ich eigentlich nur noch eine Frage an Sie.«
»Okay.«
»Wo waren Sie am dritten Juni zwischen zwanzig und dreiundzwanzig Uhr?«
Niklas war vorbereitet. Wusste, dass diese Frage irgendwann im Laufe der Vernehmung gestellt werden würde. Er versuchte zu lächeln.
»Ich hab es nachgesehen. Ich war bei ’nem alten Freund und hab mit ihm ein paar Bier getrunken.«
»Den ganzen Abend?«
»Ja, wir haben uns, glaub ich, einen Film angesehen.«
»Aha. Und wie heißt Ihr Freund?«
»Benjamin. Benjamin Berg.«
Auf dem Bahnsteig, um zurück zur schwarz erstandenen Wohnung zu fahren. Connex machte eine Durchsage: »Die U-Bahn verkehrt fahrplanmäßig.« Niklas dachte: Schweden ist doch irgendwie plemplem. Als er vor acht Jahren weggegangen war, setzte man noch voraus, dass die U-Bahn pünktlich fuhr. Und jetzt, nach den Ausverkäufen, Privatisierungen, der vorgespiegelten Professionalität – diese Scheiße funktionierte wohl niemals –, war es offensichtlich nötig, darauf hinzuweisen, dass die Züge ausnahmsweise mal pünktlich fuhren.
Er wusste mehr als manch anderer: Private Alternativen sahen glänzend, effektiv und rationell aus – auf dem Papier. PMC s – Private Military Companies, auch bekannt als Security Contractors. Private Lösungen. Kostengünstig. Perfekt zugeschnitten auf weniger brisante Krisenherde. Risikobehaftete außerstaatliche Operationen. Im irakischen Sand und Staub erwiesen sie sich allerdings oftmals als katastrophal. Gewaltsam jenseits aller Phantasie. Er versuchte die Gedanken wegzuschieben. Wie er, Collin und die anderen sich vom Helikopter aus heruntergelassen hatten. Ihre Warnungen herausgeschrien und dann durch die engen Gassen gestürmt waren. Es hatte geregnet – der rote Lehm war hoch bis an die kugelsichere Weste gespritzt. Wie sie die Holztüren des Hauses eingetreten hatten.
Die Vernehmung auf der Wache war gut verlaufen. Sie würden höchstwahrscheinlich weder ihn noch Mama weiter behelligen. Er hoffte, dass Mama möglichst bald über die Sache hinwegkommen würde. Zu sich nach Hause zurückziehen würde. Ihn in Ruhe lassen würde.
Benjamin hatte ihm einen Megadienst versprochen: Wenn jemand fragte, wie lange Niklas am dritten Juni bei ihm gewesen sei, würde er antworten: den ganzen Abend.
Seine Station, er stieg aus.
Raumgreifende, zielgerichtete Schritte den Bahnsteig entlang. Nicht viele Leute unterwegs. Es war vier Uhr nachmittags.
Da, eine Bewegung. Links unten.
Auf dem Gleis.
Er sah hinunter. Blieb stehen.
Falsche Entscheidung.
Das, was er nicht sehen wollte: ein großes Tier hinter der Windung eines Elektrokabels. Kleine schwarze, erbarmungslose Knopfaugen.
Schemenhaft zu erkennen. Schon gar nicht mehr richtig zu sehen. Aber er wusste, dass es da war. Da unten. Vor dem Tunnel.
Auf
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