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Mach sie fertig

Mach sie fertig

Titel: Mach sie fertig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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flüchteten, um ihren Rausch auszuschlafen, Schlägertypen aus den Vororten, die sich alles herausnahmen – Rentner zusammenschlugen, die auf dem Weg zur Bank waren, um ihre Miete einzuzahlen. Stockholm: das Mekka der Diebe, Drogendealer, Gangs. Der Treffpunkt der Hurenböcke. Markt der Heuchler. Der Sozialstaat hatte irgendwann in den Achtzigern seine letzten röchelnden Atemzüge getan, und kein Schwein kümmerte es. Der einzige Ort, an dem beide Welten aufeinandertrafen, schien der
Systembolag
zu sein. Die einen waren auf der Suche nach einer etwas edleren Bag-in-Box für Gäste, die zum Abendessen erwartet wurden, die anderen suchten nach einer kleinen Flasche Schnaps für das abendliche Besäufnis. Aber bald würde es wahrscheinlich auch zwei verschiedene Läden geben – einen, in dem nur gesittete Bürger geduldet waren, und einen für den Rest. Die Zweidrittelgesellschaft in den Kassenschlangen des Alkoholkonsums.
    Thomas musste an seinen Vater Gunnar denken. Der Alte war vor drei Jahren an Prostatakrebs gestorben, nur siebenundsechzig Jahre alt. In gewisser Weise war Thomas froh, dass er diese Scheiße hier nicht mehr miterleben musste. Er war ein richtiger Arbeiterheld gewesen, ein Mann, der noch an Schweden geglaubt hatte.
    Aber irgendwer musste ja den Dreck wegmachen. Die Frage war nur, ob es sein Auftrag war. Er zweifelte zu sehr am System. Erlaubte sich zu viele Fehltritte. Scheiße, er kam sich wie ein verbitterter Kripobeamter in einer mittelmäßigen schwedischen Krimiserie vor. Der sich über die Gesellschaft beschwerte und nebenbei Verbrechen aufklärte. So weit war es mit ihm doch wohl noch nicht gekommen, oder?
    »Findest du nicht auch, dass wir uns ein kleines Gewächshaus zulegen sollten? Oder, Thomas?«
    Er nickte. Erwachte aus seinen Gedanken. Realisierte den Kummer in ihrer Stimme. Wie sie sich danach sehnte, dass er zugänglicher wurde. Dass er ihr gemeinsames Problem lösen würde. Er liebte sie. Aber das Problem betraf ja sie beide. Sie konnten keine Kinder bekommen. Enttäuschung/Trauer hoch drei. Nein, verdammt, hoch zehn.
    Sie hatten alles versucht. Thomas hatte mehrere Monate lang keinen Alkohol getrunken, sie versuchten so oft wie möglich Sex zu haben, Åsa nahm Hormone ein. Vor zwei Jahren waren sie nahe dran. Das Krankenhaus Huddinge vollbrachte ein Wunder. Åsa bekam seinen Samen durch einen Katheder direkt eingespritzt – künstliche Befruchtung. Die Wochen vergingen. Die Schwangerschaft verlief nach Plan. Überschritt die zwölfte Woche, den Zeitpunkt, an dem die meisten beginnen, es zu erzählen. Wenn es so gut wie sicher war. Aber irgendetwas ging schief – Åsa hatte im fünften Monat eine Fehlgeburt. Sie waren gezwungen, sie aufzuschneiden, um das Kind herauszuholen. In seiner Phantasie sah er vor sich, wie sie den toten Fötus hervorholten – sein Kind. Er sah Arme, Beine, einen kleinen Körper. Er sah einen Kopf, eine Nase, einen Mund. Alles.
    Er wünschte es sich so sehr. Ein ganz normaler Wunsch, etwas Selbstverständliches. Eine Basis für ein gutes Leben. Es bestand immer noch die Möglichkeit einer Adoption. Sie hätten die Bewilligung bekommen. Kinderlose Mittelklasse, stabile, geregelte Verhältnisse – zumindest auf dem Papier. Sie waren bereit, ein kleines Wesen über alles zu lieben. Aber der Gedanke widerstrebte ihm – Thomas gefiel die Vorstellung nicht. Sein ganzer Körper wehrte sich. Manchmal schämte er sich für seine Haltung. Manchmal wiederum stand er absolut dahinter. Es war nicht fair. In keiner Hinsicht. Aber der Grund dafür, dass er keine Adoption wollte, war, dass er ein Kind haben wollte, das Åsa und ihm ähnlich sah. Keinen Chinesen, Afrikaner oder Rumänen. Er wollte ein Kind, das in das Familienleben hineinpasste, das er aufbauen wollte. Sie mochten ihn einen Rassisten schimpfen. Ein voreingenommenes Arschloch. Mittelalterlich. Er schiss drauf, auch wenn er sich natürlich nicht gerade bei der Arbeit hinstellte und seine Gefühle in dieser Sache herausposaunte – er würde niemals etwas anderes als ein nordisches Kind adoptieren.
    Åsa verzieh ihm das nicht.
     
    Das Haus war für eine Familie auf jeden Fall zu klein. Tallkrogen. Hundertzehn Quadratmeter. Die Fassade aus weiß gestrichenem Holz. Zweigeschossig. Eingangsbereich, Küche, eine Gästetoilette und das Wohnzimmer im Erdgeschoss. Im Obergeschoss: zwei kleine Schlafzimmer, ein kleines Fernsehzimmer und das Badezimmer. Das Fernsehzimmer benutzten sie als

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