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Mach sie fertig

Mach sie fertig

Titel: Mach sie fertig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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im Hort kein Eishockeyspiel besaßen.
    Dennoch verging die Zeit superlangsam.
    Er betätigte den Lichtschalter in regelmäßigen Abständen. Dazwischen schaffte er jeweils ungefähr fünfzehn Pässe.
    Eigentlich hätte Mama schon längst runterkommen und ihn hochholen müssen. Es war bereits halb zehn.
    Vielleicht sollte er allein hochgehen. Aber er wollte noch warten. Einmal hatte er nicht gewartet, als er keine Lust mehr auf Eishockey hatte – war wieder nach oben gefahren. Im Wohnzimmer und in der Küche war niemand, und die Tür zu Mamas Schlafzimmer war geschlossen. Er rief nach ihr, ohne eine Antwort zu bekommen. Er rief noch einmal und hörte schließlich, wie sie aus ihrem Zimmer schrie. »Bleib stehen, wo du bist, Niklas. Ich komme raus.«
    Und Mama kam raus, im Morgenrock – was merkwürdig war –, und sie war extrem sauer. Sie fasste ihn am Arm, fester, als sie es je zuvor getan hatte, und warf ihn aufs Bett. Dann schrie sie eine Weile herum. Ohne, dass er genau wusste, warum.
    Nein, er ging nicht aus freien Stücken hoch. Sie musste schon kommen und ihn holen.
    Er übte weiter Schussserien.
    Eine halbe Stunde verging. Er wusste genau, wie spät es war, weil er den Lichtschalter alle zwei Minuten betätigte.
    Langsam wurde ihm das Hockeyspielen zu langweilig. Immer dasselbe: Pass vom Stürmer zum Verteidiger, Schießbewegung mit dem ganzen Arm, der Puck landete im Ziel, der linke Verteidiger zum Stürmer, das Kratzen der Schlittschuhe, direkt ins obere Eck. Die Eintönigkeit ermüdete ihn. Aber was sollte er tun?
    Er hörte ein ungewohntes Geräusch.
    Hinter dem Hockeyspiel.
    Ein Rascheln.
    Er sah näher hin. Suchte die Wand ab.
    Ein Tier.
    Es glotzte ihn von seinem Platz auf dem Umzugskarton direkt gegenüber von ihm an. Eine Ratte.
    Eine riesengroße schwarze Ratte. Die Augen wie hässlich glänzende Porzellankugeln. Der Schwanz ringelte sich wie ein langer Wurm auf dem Karton.
    Der Schreck erfasste ihn unmittelbar. Angst, die sich vom Magen her in Wellen hochschob. Er wagte es nicht, sich zu bewegen.
    Die Ratte hockte unbeweglich da. Schien ihn zu beobachten.
    Niklas rührte sich nicht vom Fleck. Sein einziger Gedanke war: Hoffentlich springt sie mich nicht an, hoffentlich berührt sie mich nicht.
    Dann ging das Licht aus.
    Und er schrie. Er schrie, wie er noch nie zuvor geschrien hatte. Alles kam auf einmal: die Tränen, die Angst, die Panik. Er brüllte seinen Schrecken heraus, seine Angst vor der Dunkelheit und dem Tier, das ihn angestarrt hatte.
    Er fingerte nach dem Lichtschalter. Zugleich fühlte sich sein gesamtes Gehirn an, als würde es schon beim Gedanken daran, dass er zufällig das Tier berühren könnte, verbrennen.
    Wo war nur der Lichtschalter?
    Er suchte mit schnellen Handbewegungen die Wand ab. Hoffte, dass es ihm gelänge, die Ratte zu vertreiben.
    Schließlich fand er ihn.
    Er machte Licht. Taumelte auf die Tür zu. Öffnete sie. Stürmte aus dem Kellerabteil ins Erdgeschoss hoch. Pfiff auf den Fahrstuhl. Nahm alle sieben Treppen auf einmal.
    Riss die Wohnungstür auf. Völlig außer Atem, das Weinen steckte ihm als Kloß im Hals.
    Sobald er die Wohnung betrat, erfasste ihn eine andere Art von Panik. Die Ratte war vergessen. Die Geräusche, die er hörte, verdrängten jegliche anderen Ängste. Vom Wohnzimmer her hörte er Schreie. Er wusste nur zu gut, was sie zu bedeuten hatten. Er hatte sie schon viele Male zuvor gehört.
    Der Wohnzimmertisch war vor den Fernseher geschoben. Alle drei Sofakissen lagen auf dem Boden verteilt. Eine Bierflasche lag ausgelaufen daneben. Neben dem Sofa kniete seine Mutter.
    Über seiner Mutter stand Claes. Und schlug auf sie ein.
    Niklas begann zu schreien.
    Mama weinte. Aus ihrer Nase lief Blut, und ihre Bluse war oberhalb der Schulter zerrissen.
    Claes wandte sich an ihn. Die Faust immer noch in der Luft geballt. »Geh wieder runter in den Keller, Niklas.«
    Dann ließ er die Faust niedersausen. Sie traf sie am Rücken.
    Sie schaute zu Niklas rüber. Ihre Blicke begegneten sich. Er sah Schrecken. Er sah Trauer und Schmerzen. Er sah Liebe. Aber noch etwas anderes – er sah Hass. Und er spürte es deutlich, viel stärker als irgendetwas, das er je in sich verspürt hatte –, er hasste Claes. Mehr als alles andere auf der Welt.
    Sie rief ihm zu: »Bitte, Niklas, es ist in Ordnung. Geh in dein Zimmer. Bitte.«
    Claes’ Faust sauste erneut nieder. Er brüllte. »Du verdammte Schlampe, kümmerst dich mehr um dieses kleine Stück Scheiße als um

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