Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Mächtigen zu schlau. Sie wissen instinktiv, dass die Handlungsanweisungen in ihren Handbüchern falsch sind. Doch dadurch, dass sie die falschen Rezepte vermeiden, finden sie noch nicht die richtigen. Diese will ihnen Machiavelli in seinem Buch vom Fürsten zeigen.
Zu diesem Zweck muss er ihnen zuerst die Augen über den Menschen öffnen. Hier konnte der Verfasser der Sinngedichte über den Ehrgeiz und über die Undankbarkeit aus dem Vollen schöpfen. Ambizione und avarizia, der Expansionsdrang, und die Gegenkraft, die Habsucht, mit der das Gewonnene mit Klauen und Zähnen verteidigt wird, treten als prägende Anlagen des Menschen auch hier in Erscheinung. Zusammen bringen sie eine lange Reihe unerfreulicher Eigenschaften hervor:
Denn von den Menschen lässt sich Grundsätzliches sagen: Sie sind undankbar, unbeständig und heuchlerisch, fliehen die Gefahr und gieren nach Gewinn. Wenn du ihnen Gutes tust, sind sie dir ganz ergeben und bieten dir ihr Blut, ihren Besitz, ihr Leben und ihre Kinder an, doch nur, wenn die Not wie gesagt fern ist. Wenn sie aber da ist, empören sie sich.[ 11 ]
Daraus folgt, dass ein Fürst, der allein auf die Liebe seiner Untertanen setzt, verloren ist. Sobald er eine Gegenleistung von ihnen einfordert, lassen sie ihn im Stich. Die von der Kirche so hoch gepriesene Tugend der Milde verkehrt sich bei falscher Anwendung ins Gegenteil. So verletzt ein Herrscher, der seinem Adel die Zügel schießen lässt, seine Pflicht, denn dann werden die großen Herren übermütig und drangsalieren das Volk. Solche Nachsicht ist in Wirklichkeit Grausamkeit, die sich aus Feigheit nährt. Umgekehrt ist richtig angewandete Grausamkeit daher Milde:
Cesare Borgia wurde für grausam gehalten; doch hatte seine Grausamkeit die Romagna gesäubert, geeint und zu Frieden und Eintracht gezwungen.[ 12 ]
Die Grausamkeit, die einige wenige trifft, doch der Mehrheit nützt, ist voll und ganz gerechtfertigt. Damit formulierte Machiavelli als erster überhaupt die Grundsätze der Staatsräson: Der Herrscher, der dem Staat dient, muss die Gesetze der traditionellen Moral verletzen. Schreckt er davor zurück, geht er zusammen mit seinem Staat unter, dessen elementare Bedürfnisse er aus falsch verstandener Menschlichkeit vernachlässigt hat.
Wie weit reicht diese Umwertung der hergebrachten Werte?
Was die Eigenschaften eines Herrschers im Einzelnen betrifft, so muss jeder Fürst wünschen, für mitleidig und nicht für grausam gehalten zu werden.[ 13 ]
Diese Feststellung klingt fast wehmütig: Wie schön wäre es, wenn die Welt so wäre, wie sie sein sollte. Doch der Abschied von den alten Idealen ist unwiderruflich. Die Menschen sind nun einmal nicht so, dass man sie mit Güte allein regieren kann. Das heißt nicht, dass nicht auch die Güte ein adäquates Herrschaftsinstrument sein kann. Doch darüber entscheidet die jeweilige politische Lage und letztlich der Erfolg, wie Machiavelli in seinen diplomatischen Memoranden festgehalten hatte. Außerdem musste man in Rechnung stellen, dass die Menschen des Guten rasch überdrüssig werden und das Süße sie nur allzu bald anekelt. Die Konsequenz, die Machiavelli im «Fürsten» aus diesen längst gewonnenen Erkenntnissen zieht, lautet:
Daraus ergibt sich eine Streitfrage: Ob es besser ist, geliebt oder gefürchtet zu werden – oder umgekehrt. Die Antwort lautet: am besten beides! Doch da beides schwer zu vereinbaren ist, ist es sehr viel sicherer, gefürchtet als geliebt zu werden, wenn man denn auf eines von beidem verzichten muss.[ 14 ]
Die Begründung dafür lässt sich in einem Satz zusammenfassen:
Denn die Liebe wird von einem Band der Verpflichtung getragen. Dieses aber wird von den Menschen, da sie nun einmal schlecht sind, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum eigenen Gewinn zerrissen.[ 15 ]
Die verbriefte Moral taugt nicht für die Politik. Ist die Politik deshalb ein moralfreier Raum? An die Stelle der moralischen Kategorien von Gut und Böse ist eine neue Alternative getreten: Erfolg oder Scheitern. Was den Fürsten erfolgreich macht, ist gut, auch wenn es nach herkömmlicher Einschätzung böse ist; was ihn in den Ruin treibt, ist schlecht, auch wenn es bislang als gut galt. Auf diese Weise können einzelne Erfolgsregeln den Anschein erwecken, von der Moral diktiert zu sein. Zum Beispiel diese: Der Fürst muss zwar gefürchtet werden, doch Verachtung und Hass muss er um jeden Preis vermeiden.
Gefürchtet und nicht gehasst zu werden, ist leicht möglich.
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