Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
das, was er zur Zerstreuung und Erheiterung tut, Ehre und nicht Schande, und anstatt als Hurenbock verschrien zu werden, nennt man ihn vielseitig, umgänglich und gesellig. Und sie wissen auch nicht, dass derjenige, der sich so auslebt, nicht anderen etwas wegnimmt, sondern etwas von sich selbst gibt: wie der gärende Most, der den muffigen Gefäßen seinen Geschmack verleiht, anstatt die Fäulnis der Gefäße anzunehmen.[ 4 ]
Machiavelli will seinem Briefpartner also moralische Hemmungen ausreden. Sein praktischer Ratschlag in Sachen Sexualität folgt im selben Brief vom 5. Januar 1514 auf dem Fuß: Sei nicht wie der Geier, der über jedes Stück Aas herfällt, doch auch nicht so wählerisch wie der stolze Adler, der nur die erlesensten Leckerbissen zu sich nimmt und dafür das halbe Jahr hungert.
So lasst, erlauchter Herr Botschafter, die einen sich den Schnabel lecken und die anderen sich den Bauch vollschlagen – und haltet es selbst auf Eure Weise.[ 5 ]
Diese Lebensweisheiten schrieb der vierundvierzigjährige Machiavelli. Legt man die Einschätzung seiner Zeitgenossen zugrunde, so hat er sich diese Ratschläge lebenslang zu eigen gemacht:
Wie viele Söhne Ihr habt, habe ich zu zählen aufgehört, und welche davon ehelich oder nicht sind, dass überlasse ich Eurem Kalkül,[ 6 ]
heißt es in einem Brief an Machiavelli. Dieser machte sich, seinem Image getreu, über seine eigene Dauerverliebtheit lustig:
Wenn ich in Florenz bin, halte ich mich im Laden von Donato del Corno und bei La Riccia auf und werde beiden gleichermaßen lästig – den einen halte ich von der Arbeit ab, die andere belagere ich zu Hause … Letztere lässt sich manchmal einen Kuss rauben, doch glaube ich, dass mir diese Gunst bald entzogen wird. Denn ich habe beiden Ratschläge gegeben, die sich nicht bewährt haben. So sagte mir La Riccia heute in einem Gespräch mit ihrer Dienerin, doch an meine Adresse gewandt: Diese weisen Herren, diese weisen Herren, ich weiß nicht, wo sie eigentlich zu Hause sind. Ich zumindest habe den Eindruck, dass sie alles verkehrt machen.[ 7 ]
Nichts ist peinlicher als die ewig schmachtenden Intellektuellen, die doch auch nur das eine wollen und dafür ungebeten mit guten Ratschlägen um sich werfen: Machiavelli konnte auch über sich selbst spotten. So spricht vieles dafür, dass er schon früh den alles beherrschenden Leidenschaften seiner späteren Jahre huldigte: Politik und Sex.
Die falsche Republik
Zur Rolle Machiavellis im Florenz der Medici bis 1494 schweigen die Quellen, und zwar aus gutem Grund: Er hat in dieser Stadt und in diesem Staat keine Rolle gespielt. Dass er gleichwohl als Zeitzeuge leidenschaftlich Anteil an der politischen Entwicklung nahm und auch Partei bezog, lässt sich aus seiner Wahl im Mai 1498 und mit aller Vorsicht aus späteren Bewertungen schließen. Das Urteil, das der über Fünfzigjährige in seiner Geschichte von Florenz fällte, war hart und differenziert zugleich.
Die Medici waren als Anführer einer Interessengruppe an die Macht gelangt und regierten Florenz zu deren Vorteil. Ihre Herrschaft gründete sich auf die guten Dienste, welche die vielen Klienten Cosimo, dem Chef des Hauses, für empfangene Wohltaten schuldeten, denn der große Bankier Cosimo hatte sich die Macht in Florenz gekauft. Er hatte so gut wie allen einflussreichen Familien Geld geliehen oder geschenkt. Diese Summen mussten die Empfänger nicht zurückzahlen, sondern abarbeiten: durch politische Gefälligkeiten und andere Akte der Gefolgschaftstreue. Wer außerhalb dieser privilegierten Kreise stand, hatte es schwer. Deshalb hatte die Herrschaft der Medici-Partei eine permanente politische Instabilität zur Folge. Andere Familien stiegen wirtschaftlich auf, überflügelten die Medici an Reichtum und forderten sie politisch heraus. Doch Cosimos Sohn und Enkel, Piero und Lorenzo de’ Medici, waren nicht bereit, die einmal gewonnene Macht abzutreten. Daher waren blutige Konflikte unvermeidlich. So lautet die Einschätzung Machiavellis fünfzig Jahre danach. Die historische Forschung hat seine Diagnose in den meisten Punkten bestätigt.
Lorenzo «der Prächtige» de’ Medici, wie ihn Vasari postum im Palazzo Vecchio verherrlichte. Sein Fresko zeigt den «Paten von Florenz» als kunstsinnigen Dichter und Denker, lässt aber auch etwas von seiner Willensstärke und Durchsetzungskraft ahnen. Lorenzos Mund hat Machiavelli in seinem berühmten Brief vom Dezember 1509 äußerst respektlos
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