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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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beschrieben.
    Am bedrohlichsten für die herrschende Clique unter der Führung Lorenzos de’ Medici wurde im Frühjahr 1478 die Verschwörung der Pazzi und ihrer Verbündeten, der Nepoten Papst Sixtus’ IV., Federico da Montefeltros, des Herzogs von Urbino und anderer Unzufriedener inner- wie außerhalb von Florenz. Dem Mordanschlag in der Kathedrale am 26. April 1478 fiel jedoch nur Giuliano de’ Medici, Lorenzos jüngerer Bruder, zum Opfer. Lorenzo selbst konnte leicht verletzt in die Sakristei flüchten und die energische Gegenwehr einleiten. Mit allen Kräften mobilisierte er die Anhänger des Hauses Medici, die an der Aufrechterhaltung der bestehenden Machtverhältnisse ein lebhaftes Eigeninteresse hatten. In den nachfolgenden Straßenkämpfen zeigte sich rasch, dass sie die stärkeren Bataillone bildeten. Die Führer der Verschwörung wurden mitleidlos gelyncht. Im Augenblick der existentiellen Bedrohung fiel die Tünche der Kultur und Zivilisiertheit wie von selbst: Blut konnte nur mit Blut gesühnt werden, der feinsinnige Dichter und Kunstkenner Lorenzo de’ Medici wurde zum rächenden Berserker. Auch diese Schilderung Machiavellis stimmt mit den nüchternen Bestandsaufnahmen heutiger Historiker im Wesentlichen überein.
    Doch Machiavelli begnügte sich nicht damit, zu beschreiben, wie es wirklich war. Er erzählt Geschichte, um die Regeln zu erkennen, die sie bestimmen. So lässt er den Sieger im Bürgerkrieg, Lorenzo den Blutigen, nach der Niederschlagung seiner Feinde eine Rede halten, die selbst die hartgesottensten Rächer unter seinen Anhängern zu Tränen rührte. Ihr Tenor lautete: Wir sind ihr! Wir, die Medici, sind aus dem Volk hervorgegangen, regieren mit dem Volk, für das Volk, durch das Volk. Wir verkörpern Florenz, seine Werte, seine Freiheit. Und deshalb wollten die neidischen Aufrührer uns vernichten; die Dolchstiche, die meinen Bruder getötet haben, galten in Wahrheit Euch. Wir sind nichts, Florenz ist alles. Es lebe das Volk und die Freiheit!
    Kein Wunder, dass sich nach so erhabenen Worten allgemeine Ergriffenheit unter den Anhängern ausbreitet. Doch der Leser von Machiavellis Geschichte von Florenz bekommt keine feuchten Augen. Denn er ist vor diesem Hitzebad der patriotischen Aufwallungen durch das Kältebad des Sarkasmus gezogen worden. Gleich zu Beginn der Kämpfe nämlich ziehen die Pazzi und ihre Gefolgsleute mit der Parole «Volk und Freiheit» durch die Straßen, in der Hoffnung, damit zum Aufstand gegen die Medici-Tyrannen aufzurufen. Doch das Echo bleibt aus:
Denn das Volk war durch das Glück und die Bestechung der Medici betäubt worden, die Freiheit aber kannte in Florenz ohnehin niemand mehr …[ 8 ]
    Ein einziger, unauffällig eingeschobener Satz reicht aus, um die feierliche Ansprache des «Volkshelden» Lorenzo de’ Medici als das zu entlarven, was sie für Machiavelli war: Propaganda, ideologische Verschleierung der wahren Machtverhältnisse und der tatsächlichen Machtausübung. Dieses harte Urteil stand in einer Geschichte von Florenz, die vom Sohn des ermordeten Giuliano de’ Medici in Auftrag gegeben worden war. Das Metier des Historikers besteht für Machiavelli darin, die wahren Beweggründe der Mächtigen freizulegen, auch die verborgensten. Geschichtsschreibung reißt ihnen die Maske vom Gesicht. Was kommt dahinter zum Vorschein? Lorenzo de’ Medici ist wie sein Vater und sein Großvater ein Meister der Täuschung. In Wirklichkeit – so Machiavellis Interpretation – streben die Medici von Anfang an nach dem Prinzipat, nach dauerhafter Herrschaft in fürstlichen Formen. Die Medici wollen einen Staat als Besitz ihrer Familie, zum Nutzen und Frommen ihrer Anhänger. Richtige Mittel dienen also einem falschen Ziel.
    So lautete das Fazit Machiavellis ein knappes halbes Jahrhundert nach den Ereignissen. Wie und wann gelangte er zu dieser Einschätzung? Stand diese Meinung schon früh fest, oder war sie die Frucht eines Erfahrungs- und Lernprozesses? In Ermangelung von Zeugnissen aus dieser Zeit lassen sich nur Vermutungen anstellen. Vieles deutet darauf hin, dass die Verdammung der von den Medici gelenkten Republik als Tyrannei alt, wahrscheinlich sogar Familientradition war. Opposition gegen das Regime des «Paten» hinter den Kulissen kam vorwiegend unter denjenigen auf, die sich selbst zur Elite zählten, doch de facto nicht dazugehörten: Individuen und ganze Familienzweige, die durch geschäftliche Misserfolge, politische Fehltritte oder falsche

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