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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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genauestens überprüft, ja regelrecht handverlesen. Nur zuverlässige Gefolgsleute bestanden diesen Loyalitätstest – und nur ihre Namen wurden in die Lederbeutel gefüllt, aus denen dann die neuen Amtsträger per Los gezogen wurden. Von ungefähr dreitausend theoretisch wählbaren Florentinern verengte sich der tatsächlich «eingefüllte» Personenkreis auf übersichtliche sechs Dutzend. So wusste der Chef des Hauses Medici zwar nicht, wer jeweils für zwei Monate im Palazzo della Signoria amtieren würde, doch konnte er zweierlei mit Bestimmtheit voraussagen: Wer es nicht schaffen würde – und dass die Glücklichen zu seinen treuesten Gefolgsleuten zählten.
    Das war natürlich lupenreiner Wahlbetrug; kein Wunder, dass man beschönigend von «die Beutel schließen» sprach, wenn man diese Vorab-Sortierung meinte. In Krisenzeiten führte gleichwohl kein Weg daran vorbei, die Beutel wieder zu öffnen; dann musste das Regime die Unzufriedenen dadurch beschwichtigen, dass es die Rückkehr zur Chancengleichheit aller politikfähigen «Vollbürger» zelebrierte. Dazu wurde man durch Mitgliedschaft in einer Zunft ( arte). Drei Viertel der Führungsämter waren den arti maggiori, den Berufsgenossenschaften des Patriziats, vorbehalten, den Rest durften Handwerker und Ladenbesitzer untereinander ausmachen. Von denjenigen, die das neue System benachteiligte, machten einige ihrem Groll in Tagebüchern und anderen privaten Aufzeichnungen Luft. Dass die Republik durch diesen Eingriff, der die Zahl der Amtsinhaber auf ein Vierzigstel reduzierte, nicht mehr dieselbe war wie vorher, drang jedoch offiziell nicht nach außen. In ihren propagandistischen Verlautbarungen präsentierten sich die Medici geradezu als Gralshüter der republikanischen Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Aufstieg nach Verdienst. Auf diese Weise wurde die Ehre der Republik Florenz gewahrt, die zusammen mit der Republik Venedig, dem Herzogtum Mailand, der päpstlichen Wahlmonarchie und dem Königreich Neapel eine der fünf italienischen Hauptmächte bildete. Natürlich wussten nicht nur die Florentiner, sondern auch die übrigen italienischen Machthaber, wie es bei der Auslosung der neuen Amtsinhaber am Arno zuging.
    Allerdings zog man es vor, darüber den Mantel des Schweigens zu breiten. Manch einer wollte es wahrscheinlich auch gar nicht genauer wissen. Das Prinzip «Ich gebe, damit du gibst» und die Herrschaft der Netzwerke, die sich darauf gründete, galten zwar als moralisch verwerflich, doch war das Verhältnis zwischen Patron und Kreatur die Keimzelle von Staat und Gesellschaft. Das Problem, das sich daraus ergab, ließ sich auf zweierlei Art lösen: Man konnte die Handverlesung der Gefolgsleute als freie Auswahl der Besten tarnen oder verschweigen. Wer wollte, konnte zudem sein Gewissen dadurch beruhigen, dass er der Selbstdarstellung der Herrschenden Glauben schenkte: Wir, die Medici, stehen für die Republik und den Volkswillen! Wer diese Botschaft akzeptierte, durfte seinen Frieden mit den «geschlossenen Beuteln» machen. Dazu neigten mit der Zeit nicht nur die meisten Patrizier, sondern auch die führenden Intellektuellen. So hielt es Leonardo Bruni (1369–1444), seines Zeichens Erster Kanzler der Republik, offizieller Geschichtsschreiber des florentinischen Volkes und wortmächtigster Lobredner seiner Freiheit, nicht für nötig, den mit der Machteroberung der Medici vollzogenen Umsturz des politischen Systems auch nur zu erwähnen. Machiavelli hingegen spielte die Rolle des Störenfrieds. In seiner Geschichte von Florenz legte er, wie der lakonische Kommentar zur Pazzi-Verschwörung zeigte, den Finger bewusst auf die Stelle, an der es die Gesinnungs-Republikaner am meisten schmerzte: Eure Freiheit existiert unter der Herrschaft der Medici nur noch in eurer Einbildung. Auch diesen Tabubruch beging Machiavelli im fortgeschrittenen Alter von über fünfzig Jahren. Doch dürfte die tiefe Abneigung, die sich in den späten Texten Bahn bricht, früh aufgekommen sein.
    Für Machiavellis Hass auf die Herrschaft der sette, der Cliquen, die den Staat als ihr Privateigentum betrachteten, gab es fraglos familiäre und persönliche Gründe. Sein Vater Bernardo zählte nicht zu den imborsati, deren Namen aus den Lederbeuteln gezogen wurden. So spricht vieles dafür, dass ihm der Widerwille gegen die manipulierte Republik gleichfalls von Kindesbeinen an vermittelt wurde. Der Sohn des erfolglosen Advokaten lernte früh, Politik als Ringen von

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