Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Allianzen aus diesen Kreisen herausgefallen waren. Hier herrschten nicht nur Enttäuschung und Groll, hier kam auch die Sehnsucht nach einer anderen, besseren Republik auf, wie die Medici genau wussten. Zum Einschreiten sahen sie sich jedoch nur veranlasst, wenn unter den Frustrierten Männer von Einfluss waren oder mit Verschwörungen zu rechnen war. Von Bernardo Machiavelli hatten die Mächtigen jedoch nichts dergleichen zu befürchten.
Männer wie er, die von den Wohltaten der nützlichen Netzwerke ausgeschlossen wurden, waren nahezu die einzigen, die die klienteläre Basis der Republik und deren ungeschriebenes Grundgesetz «Ich gebe, damit du gibst» als skandalös empfanden. Sie hatten den Herrschenden nichts zu geben und erhielten dementsprechend auch nichts von ihnen. Hier bietet sich ein kurzer Seitenblick an, gewissermaßen auf die andere Straßenseite. Gegenüber dem bescheidenen Haus Machiavellis im Stadtteil Oltrarno erhebt sich bis heute der mächtige Palazzo Guicciardini. Der darin vierzehn Jahre nach Machiavelli geborene Politiker und Historiker Francesco Guicciardini, einer von Machiavellis ersten Lesern und Kritikern, gehörte aufgrund seiner Herkunft zu den Meistbegünstigten der Medici-Herrschaft in all ihren wechselnden Erscheinungsformen. Trotzdem gelangte auch er zu dem Ergebnis, dass die Herrschaft Lorenzos de’ Medici von 1469 bis 1492 eine Tyrannei war, wenngleich eine milde. Wer zu Lorenzos Klientel oder gar wie die Guicciardini zu den primi, zum engsten Zirkel der einflussreichsten Familien, gehörte, hatte wahrlich keinen Grund, sich zu beklagen. Wer jedoch außerhalb dieser Medici-Entourage stand, bekam die ganze Einseitigkeit des Regimes zu spüren: keine Gunst, keine Ämter, kein Prestige, kein Geld – das Leitmotiv von Bernardo Machiavellis Leben.
So drängt sich die Annahme auf, dass die kritische Haltung Niccolò Machiavellis gegenüber den Medici zumindest im Kern ererbt war. Und noch eine Gegnerschaft lässt sich auf die Erfahrung dieser frühen Jahre zurückführen: die Abwehrhaltung gegenüber den Humanisten in Amt und Würden. Sich in die Studierstube zurückzuziehen und dort «die Alten» zu lesen, war auch für Machiavelli ein Akt des geistigen und psychologischen Überlebens. Doch wenn diese Lektüre der antiken Autoren zum Selbstzweck wurde, degenerierte es zur würdelosen Ersatzhandlung für politische Betätigung. Historische Studien ohne unmittelbaren Praxisbezug waren für Machiavelli eines der krassesten Dekadenzphänomene der Zeit. Einige der bekanntesten Humanisten seiner Zeit haben ihm diese Kritik heimgezahlt, zu Lebzeiten und posthum. So behauptete Paolo Giovio, einer der sprachmächtigsten und an der Kurie erfolgreichsten Gelehrten der Zeit, Machiavelli habe Latein überhaupt erst nach seinem Dienstantritt als Chef der Zweiten Kanzlei gelernt. Diese Nachhilfestunden habe ihm niemand anders als der Erste Kanzler der Republik Florenz, Marcello Virgilio Adriani, erteilt. Dieser verkörperte wie kaum ein anderer den Typus des gelehrten Phrasendreschers und Opportunisten, der Machiavelli so gründlich verhasst war. Die Gründe für diese Abneigung lieferte Giovio gleich mit. Erst Bernardo Machiavellis Hausbuch konnte den großen humanistischen Lästerer in diesem Fall als Lügner erweisen.
Abneigung gegen die Medici und gegen ihre devoten Gelehrten, dazu die kümmerlichen Verhältnisse des Vaters: schlechtere Karrierechancen waren im Florenz der Renaissance kaum denkbar. Vieles musste sich ändern, um dem Sohn des erfolglosen Advokaten den Weg in den Staatsdienst zu bahnen. Solange Lorenzo de’ Medici lebte, bestand dafür nicht die geringste Aussicht. Vor allem im Bereich der Außenpolitik führte der Chef des Hauses Medici seine eigene Propaganda, wonach er nur der erste Bürger der Republik ohne Sonderämter und Sonderrechte sei, systematisch ad absurdum. Die eigentlich für die florentinische Diplomatie zuständige Behörde der Dieci di Balìa wurde durch Lorenzos eigene Gesandte und auch durch seine Gesandtschaften in eigener Person ganz an den Rand gedrängt. Auch in der Innenpolitik verschaffte der Pate von Florenz seinen Gefolgsleuten die Schlüsselpositionen. Schon 1434, unmittelbar nach ihrer Machteroberung, hatten die Medici Mittel und Wege gefunden, um dem Zufall des dafür vorgesehenen Wahl-Los-Verfahrens auf die Sprünge zu helfen. Kandidaten für die zehnköpfige Stadtregierung und die etwa fünfzig übrigen Spitzenämter der Republik wurden
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