Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Töne. Der Staat der Medici bestand aus der Herrschaft einer Person, einer Familie, einer Interessengruppe, vermischt mit Elementen einer echten Republik. Weil er vieles zugleich sein wollte, war er, so Machiavelli, nichts wirklich.
Dieses Elend hatte nicht mit den Medici begonnen. Vor ihrer Machteroberung im Jahr 1434 dominierten einige wenige einflussreiche Familien den Staat, dessen Gesetze sie nicht zu fürchten hatten. Auf diese Weise zerfiel die Oberschicht in rivalisierende Netzwerke, die Machiavelli mit dem verächtlichen Ausdruck secte, Sekten, bezeichnet. Die Stadtregierung war ihr Spielball; da auch Handwerker gewählt werden konnten, hatte sie im Verhältnis zu ihrem geringen Ansehen zu viel Macht. Hinter den Kulissen bestimmten die primi die Richtlinien der Politik, und zwar ausschließlich im eigenen Interesse. Unter Cosimo de’ Medici neigte sich die politische Waagschale ab 1434 zur Seite der fürstlichen Herrschaft, doch nicht weit genug. Der große Bankier war laut Machiavelli kein wirklicher Einzelherrscher, sondern von der Gunst des Mittelstandes, von der Hilfe der Sforza in Mailand und nicht zuletzt von der Zustimmung seiner einflussreichen Anhänger abhängig. Das zeigte sich daran, dass die Herrschenden in regelmäßigen Abständen ihre Zuflucht zu außergesetzlichen Maßnahmen wie erzwungenen Volksbefragungen und Sonderkommissionen nehmen mussten. Ein Staat, der sich nur durch notdürftig legalisierte Staatsstreiche am Leben erhalten konnte, hatte jedoch keine Existenzberechtigung.
Auch über die Republik, der er vierzehn Jahre lang als Chef der Zweiten Kanzlei gedient hatte, fällte Machiavelli ein vernichtendes Urteil. Das governo largo wies die Mächtigen nicht in die Schranken. Weil diese die «Volksherrschaft» nicht fürchteten, respektierten sie auch deren Regeln nicht. Wer nicht in der Angst vor öffentlichen Prozessen lebt, setzt sich über die Gesetze hinweg – diese Schlussfolgerung aus den Discorsi bewahrheitete sich im Florenz der Jahre 1494 bis 1512. Über die nachfolgende Zeit bis 1520 schwieg sich Machiavelli aus, und zwar beredt.
Immerhin wagte er den Vergleich zwischen dem Einst und dem Jetzt, der zum Nachteil der Gegenwart ausfiel:
Die Medici der damaligen Zeit lebten und webten mit den übrigen Bürgern und verhielten sich mit ihnen so vertraulich, dass sie sehr beliebt waren. Jetzt aber sind sie so groß geworden, dass sie alles bürgerliche Maß übersteigen, und deshalb kann es die alte Vertrautheit und mit ihr die alte Beliebtheit nicht mehr geben.[ 79 ]
Ein einfaches «Zurück zur guten alten Zeit» konnte es daher nicht geben. Die Machtverhältnisse hatten sich gewandelt und mit ihnen die Mentalitäten:
Wenn man diese Andersartigkeit der Zeiten und Menschen in Rechnung stellt, so zeigt sich der Versuch, einem verwandelten Stoff die alte Form aufprägen zu wollen, als die größte aller Täuschungen.[ 80 ]
Der historische Wandel, den Machiavelli hier zusammenfasst, hatte die Verhältnisse zugespitzt. Auch das wurde den Medici mit aller Härte vor Augen gehalten: «Unter Cosimo war die Herrschaft allgemein beliebt, jetzt ist sie verhasst.»[ 81 ] Florenz war abgesunken und in jeder Hinsicht schwächer als 1434. Das war keine schmeichelhafte Bilanz für die Mächtigen.
Nach der Peitsche das Zuckerbrot: Gerade weil die Stadt in Italien und darüber hinaus so viel an Ansehen eingebüßt hatte, brauchte sie Machiavelli zufolge die Medici – vorausgesetzt, diese gaben ihr statt der gegenwärtigen Auflösung eine neue Ordnung. Doch wie sollte diese aussehen? Ein «echtes» Fürstentum schied laut Machiavelli aus: Die Florentiner waren an den Wettbewerb um Ämter und Ehren der Republik gewöhnt und würden nie freiwillig darauf verzichten. Außerdem gab es in Florenz keinen feudalen Adel mit Burgen und Herrschaftsrechten, ohne den eine Monarchie nicht bestehen kann. Also kam nur die Republik als florentinische Verfassungs- und Lebensform in Frage. Doch wie vertrug sich diese auf Gleichheit der Bürger beruhende Grundordnung mit den Interessen der Medici?
Beides miteinander zu vereinbaren, hatte eine schwindelerregende Gratwanderung zur Folge, wie sich Machiavelli wohl bewusst war. Seine kühne Formel lautete: Die Medici bekommen, solange es sie gibt, ihre Wunsch-Republik, in der sie frei schalten und walten können, doch mit solchen Einrichtungen und Gesetzen, dass sie nach dem natürlichen Abgang der herrschenden Familie gestärkt fortbestehen kann! Zu diesem Zweck
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