Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Lucca-Spezialist zurück. Seinen Geschäftsaufenthalt hatte er zu intensiven Recherchen über die dortigen politischen Verhältnisse genutzt. Diese führte er den Florentinern in seinem Memorandum «Über die Angelegenheiten von Lucca» vor Augen. Machiavellis Idee, dass die Verfassung der verhassten Nachbarrepublik für die Florentiner vorbildlich sein sollte, war für diese eine Provokation. Machiavelli aber war, was gute Einrichtungen betraf, in Lucca reichlich fündig geworden. So lobte er ausdrücklich, dass dort die Anziani, die Mitglieder der Stadtregierung, nicht zuviel persönliche Macht hatten und daher leicht ersetzbar waren. Das wiederum hatte zur Folge, dass der Kampf um die Ämter weniger heftig als in Florenz ausgetragen wurde und eine breitere Schicht ans Ruder gelangte. Zudem übte der Große Rat von Lucca laut Machiavell eine strengere Kontrollfunktion als sein Pendant am Arno aus, wodurch die einflussreicheren Politiker im Zaum gehalten wurden. Darüber hinaus konnte gegen diese eine Art Scherbengericht wie in Athen gehalten werden:
Lucca … erließ vor vielen Jahren ein sogenanntes «Scheibengesetz» gegen die Unverschämten und Übelbeleumdeten, durch das im Großen Rat zweimal im Jahr, im März und im September, diejenigen, die zusammen kommen, alle aufschreiben, die sie aus dem Staatsgebiet verbannt sehen möchten. Und wer mindestens zehnmal notiert wird, muss tatsächlich gehen.[ 77 ]
Eine schöne Regelung, fand Machiavelli, doch leider nicht ausreichend, um die arroganten jungen Patrizier einzuschüchtern, die den Staat als ihr Privateigentum betrachten. Die Gefahr, dass die nachrückende Generation die republikanischen Gemeinschaftswerte mit Füßen treten würde, erschien ihm bedrohlich, nicht nur in Lucca, sondern auch und vor allem in Florenz.
Dort trafen sich junge Patrizier, die von einer aristokratisch geführten Republik träumten, in den lauschigen Gärten der Familie Rucellai. In diesen (nach der latinisierten Namensform benannten) Orti Oricellari war auch Machiavelli zu Gast. Doch mit den dort vertretenen Ansichten, wie sie zum Beispiel Francesco Guicciardini, der aufstrebende junge Politiker in Diensten der Medici, vertrat, war er nicht einverstanden. In seinen Discorsi hatte Machiavelli die Frage erörtert, bei wem die Gesetze sicherer aufgehoben waren, bei den Großen oder beim Volk. Beide hatten ihre Stärken und Schwächen, doch die republikanischen Grundwerte waren laut Machiavelli bei der breiten Masse besser geschützt als bei den einflussreichen Familien, die zu stark nach eigener Macht strebten. Damit geriet der ehemalige Chef der Zweiten Kanzlei auch zu den Republikanern in Opposition, die von einer neuen Republik ohne die Führungsrolle der Medici träumten und konkrete Pläne dafür zu entwerfen begannen.
Letzte politische Träumereien
Ideen, wie es in Florenz weitergehen sollte, waren nach dem Tod Lorenzos durchaus nicht verboten. Kardinal Giulio de’ Medici veranstaltete sogar ein regelrechtes Brainstorming, um seinen guten Willen unter Beweis zu stellen und gemeinsam mit den Bürgern adäquate Lösungen zu finden. Denkschriften zur politischen Neuordnung von Florenz wurden jetzt zahlreich in Auftrag gegeben, auch bei Machiavelli. Hinter dem Kardinal stand natürlich Papst Leo X., der wahre Herrscher über die Republik. Er sollte Machiavellis «Abhandlung über die florentinischen Angelegenheiten nach dem Tod des jüngeren Lorenzo de’ Medici» lesen und dementsprechend handeln. Endlich konnte sich der in Ungnade gefallene Ex-Sekretär der Republik Florenz direkt an den Herrn von Florenz wenden. Das tat er auf seine Art, nämlich äußerst selbstbewusst:
Der Grund, warum die Stadt Florenz nie eine stabile Regierung gehabt hat, liegt darin, dass sie nie Republik oder Fürstentum mit den dazu notwendigen Merkmalen gewesen ist; denn man kann einen Staat nicht Fürstentum nennen, wo einer bestimmt und viele beraten. Und es ist erst recht nicht zu glauben, dass eine Republik von Dauer ist, die nicht die Sehnsüchte befriedigt, ohne deren Erfüllung Republiken untergehen.[ 78 ]
Hier spricht der Historiker, der die Gesetze der Geschichte erkannt hat. Sein Blickwinkel ist entsprechend weit, Florenz schrumpft in dieser Perspektive zu einem Fall unter vielen. Der Anspruch, der hinter diesen wie gemeißelt erscheinenden Sätzen steht, reicht weit: Entweder folgt ihr meinen Ratschlägen, oder ihr geht zugrunde. Für einen Außenseiter wie Machiavelli waren das kühne
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