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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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Die Schwester eines ältlichen Kanonikus habe das Knäblein im Weinberg ihres Bruders gefunden; wie es dort hingelangt war und aus welcher Familie es stammte, wusste niemand. Der künftige Stadtherr war also ein Niemand, ohne Verwandte und damit ohne die Startvorteile, die Söhne aus besserem Hause in der Politik genossen. Nicht einmal einen Namen hatte er, auch den musste er sich selbst machen. Das war der Sinn dieser Geschichte, die nicht zufälligerweise an die Auffindung des Mose erinnerte. Machiavelli hatte sie frei erfunden. In Wirklichkeit stammte Castruccio aus einer der alteingesessenen und führenden Familien von Lucca.
    Machiavelli aber lässt ihn im Hause des friedliebenden Klerikers aufwachsen, woraus sich komische Verwicklungen ergeben. Der brave Domherr bestimmt sein Findelkind für die kirchliche Laufbahn, doch dagegen spricht die Natur ein Machtwort. Der Knabe zeigt eine ausgeprägte Neigung zum Waffenhandwerk und erweist sich als geborener Anführer seiner Altersgenossen, über die er eine geradezu königliche Autorität besitzt. Solche Qualitäten sprechen sich herum. Francesco Guinigi, der mächtigste Mann von Lucca, wird auf den strahlenden Jüngling aufmerksam und lässt ihn mit dem Einverständnis des Ziehvaters in seinem Haus ausbilden. Dort geht es kriegerischer zu, denn Guinigi ist selbst ein angesehener condottiere. Seine Erziehung trägt rasch Früchte:
Und es war außerordentlich, wie ungeheuer schnell er sich daraufhin alle Qualitäten und Verhaltensweisen aneignete, die ein echter Edelmann besitzen muss. So wurde er ein hervorragender Reiter, der jedes noch so wilde Pferd mit höchster Geschicklichkeit beherrschte; und so zeichnete er sich trotz seiner Jugend beim Lanzenstechen und anderen Turnieren ganz ungewöhnlich aus. Ob es bei diesen Wettkämpfen um Kraft oder Geschicklichkeit ging – er fand dabei niemanden, der ihn übertraf. Dazu kamen die passenden Sitten, darunter erlesene Bescheidenheit. Nie tat oder sagte er etwas, das Missfallen erregte. Gegenüber Höhergestellten war er respektvoll, mit Gleichgestellten bescheiden, mit Niedrigergestellten leutselig. So liebte ihn bald nicht nur die Familie Guinigi, sondern die ganze Stadt Lucca.[ 86 ]
    Fast scheint es, als ob sich Machiavelli zum Lobredner des edlen Rittertums gewandelt habe. Doch der Schein trügt. Castruccio weiß genau, was er tut – und warum. Sein standesgemäßes Verhalten ist zielgerichtet, wie sich nach dem Erwerb des ersten kriegerischen Ruhms bei seiner Rückkehr nach Lucca zeigt:
Kaum war Castruccio nach Lucca zurückgekehrt, und zwar noch höher geschätzt als bei seinem Aufbruch, da begann er auch schon, sich so intensiv wie möglich Freunde zu verschaffen, und zwar nach allen Regeln der Kunst, mit denen man Anhänger gewinnt.[ 87 ]
    Der geborene Herrscher drängt zur Macht. Um diese zu gewinnen, musste er sich der vorherrschenden Methoden bedienen, und das bedeutete, nützliche Netzwerke zu knüpfen. Auf dem Weg nach oben erspart ihm eine günstig gestimmte Fortuna die schlimmsten Grausamkeiten. Sein Mentor Francesco Guinigi stirbt, bevor er ihm in die Quere kommen kann, nicht ohne ihm seinen minderjährigen Sohn Paolo als Mündel anzuvertrauen. Diese Verpflichtung ist dem aufstrebenden Castruccio heilig. Er erweist sich als dankbar und damit als Ausnahmemensch. Doch schreckt er ansonsten nicht vor dem zurück, was ein vollendeter Herrscher tun muss. Im richtigen Moment bricht er sein Wort und verbündet sich mit Uguccione della Faggiuola, dem militärisch und politisch sehr erfolgreichen Stadtherrn von Pisa. Mit dessen Hilfe und als dessen Stellvertreter wird er zum mächtigsten Mann von Lucca. Dort lässt er seine wichtigsten Feinde töten und einhundert Familien verbannen. Kurz danach kann er seine wahren Qualitäten zeigen: Die Florentiner rüsten zu einer Strafexpedition gegen den unbequemen Nachbarn und rücken gegen Lucca vor. Castruccio erwartet sie auf der Passhöhe von Montecatini. Vor der Schlacht erklärt er seinen Soldaten, dass sie nur mit eiserner Disziplin gegen den zahlenmäßig überlegenen Feind siegen können. Diese Lektion trägt Früchte: Dank ihrer Unbeugsamkeit und des militärischen Genies ihres Führers, der in neuartiger Weise über die Flügel angreift, werden die Florentiner vernichtend geschlagen. Sie verlieren 10.000 Mann, die Luccheser nur 300!
    Nach diesem Triumph kommt es, wie es kommen muss. Uguccione wird eifersüchtig auf den Ruhm seines Leutnants und schickt seine

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