Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
sollte gründlich aufgeräumt werden: So altehrwürdige Institutionen wie die Stadtregierung nebst ihren zwei engsten Beratungsgremien mussten der Denkschrift zufolge abgeschafft werden. An ihre Stelle sollte ein enger Rat der 65, ein mittlerer Rat der 200 und ein großer Rat der 1000 oder, wenn das des Guten zuviel erschien, der 600 treten, die sich die politischen Kompetenzen wie bisher aufteilten: Die Exekutive oblag dem kleinen Gremium, dessen Mitglieder auf Lebenszeit bestimmt werden sollten, die Gesetzgebung dem großen Rat, und das mittlere Gremium sollte als Scharnier zwischen beiden dienen.
Das alles sah nach einer bloßen Vereinfachung und Straffung des Instanzenzugs aus, doch hinter dieser Umgestaltung verbargen sich gleich zwei Revolutionen: die erste zugunsten der Medici, die zweite für die Zeit danach. Solange sie lebten, durften die Medici alle Mitglieder der drei Räte nach eigenem Gutdünken bestimmen, so wie sie alle Ergänzungswahlen nach Belieben manipulieren konnten. Dasselbe galt für die Anklagebehörde, die die Patrizier unter Kontrolle halten sollte. Und natürlich durfte Machiavellis Lieblingsprojekt, die Volksmiliz, nicht fehlen. Sie sollte in Kompanien organisiert werden, die in Analogie zu den römischen Volkstribunen ein Mitspracherecht bei den Entscheidungen der Räte haben würden.
Damit war die Verfassung der idealen Republik Florenz nach dem Aussterben der Medici entworfen. Der Gegensatz zum unmittelbar vorangehenden System konnte kaum größer ausfallen. In ihm herrschten die Medici unumschränkt nach den Gesetzen der Klientel. Doch dieser Missstand war zu verkraften, weil er nicht mehr lange dauern würde. Das war die atemberaubende Pointe dieser konstitutionellen Träumereien. Unter den Augen der entfesselten Medici-Partei sollte sich Florenz in ein neues altes Rom verwandeln. Wenn die Medici dann von der politischen Bühne abgetreten waren, war alles für den Aufstieg der Republik bereit. Für die produktive Konkurrenz zwischen Großen und Volk würden die verschiedenen Räte sorgen, der neue Staatsgerichtshof würde die Großen in Schach halten, die Miliz freudig zur Eroberung neuer Herrschaftsgebiete ausrücken. Der ruhmreichen Zukunft von Florenz stand so nichts mehr im Wege. Alle wären glücklich und zufrieden:
Denn so würde das Volk sehen, dass ihm der Staat nach und nach in die Hände fallen würde, und es würde Euch und Eure Freunde daher entsprechend ehren und nicht von der Macht entfernen.[ 82 ]
Dem Volk gehörte dann die Macht, den Medici hingegen gebührte posthum der höchste Ruhm, den es für die Sterblichen geben konnte:
Ich glaube, dass die höchste Ehre der Menschen die ist, die ihnen ihr Vaterland freiwillig verleiht. Ich glaube, dass das höchste und Gott gefälligste Gut das ist, das man dem Vaterland erweist. Zudem wird kein Mensch seiner Taten so hoch gerühmt wie diejenigen, die Republiken und Königreiche durch Gesetze und neue Ordnungen erneuert haben.[ 83 ]
In diesem unerhörten Memorandum zog Machiavelli die praktische Nutzanwendung aus dem Buch über die Fürstentümer. Die Medici sollten das tun, was einem guten Fürsten aufgetragen war: die Basis für eine neue, lebensfähige Republik legen, sich dadurch überflüssig machen und lautlos im historischen Nichts verschwinden. Glaubte Machiavelli wirklich, dass die Medici so viel patriotische Uneigennützigkeit aufbringen würden? Skepsis war umso mehr angebracht, als die Weltgeschichte für diesen politischen Altruismus keinerlei Vorbild bot. Noch stärker sprach Machiavellis Menschenbild dagegen: Ein freiwilliger Verzicht auf die Macht widersprach den Gesetzen der ambizione und der avarizia. Zudem hatten die Medici bislang – wie Machiavelli selbst in seiner historischen Kurzanalyse im selben Memorandum betonte – ausschließlich im Interesse ihrer Familie und ihrer Anhänger regiert. Dass sie sich jetzt zum allein selig machenden Prinzip des Gemeinwohls bekehren würden, war also kaum zu erwarten.
Und noch ein starkes Argument ließ die wundersame Verwandlung des lebensuntüchtigen Hybridstaats Florenz zur besten aller modernen Republiken als Utopie erscheinen: Das Gesetz der Geschichte, wie Machiavelli es im selben Text dargelegt hatte, sprach dagegen. Wenn man Florenz nicht in den politischen Zustand unter Lorenzo dem Prächtigen zurückversetzen konnte, weil in der Zwischenzeit ein irreversibler Wandel eingetreten war, wie sollte man die Stadt dann an der seit mehr als anderthalbtausend
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