Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
verbündeten, ihren Feinden gegenüber behaupteten oder diese besiegten, seine Gegner aber ihre Zeit, ihr Geld oder ihren Staat verloren.[ 11 ]
Das war eine stolze Bilanz. Bei aller angeborenen Begabung zur Politik hatte Cosimo einen entscheidenden Vorsprung vor allen Konkurrenten: Er lernte aus der Geschichte, aus der jüngsten, selbst erlebten Vergangenheit wie aus der Antike. Auf diese Weise durchschaute er die Regeln der Politik wie kein anderer Zeitgenosse. Erst Machiavelli sollte ihn in dieser Kunst erreichen oder sogar übertreffen. Vollendet war für ihn ein Herrscher nur, wenn sich zur instinktiv beherrschten Praxis die Kenntnis der Theorie gesellte. Daran fehlte es bei Castruccio Castracani, nicht jedoch bei Cosimo de’ Medici, der seine Macht an seine Nachkommen übertragen konnte. Als perfekten Fürsten im Bürgergewande wies ihn auch der Erfolg aus, den er in ganz Italien erntete. Und doch tritt in diesem für Clemens VII. fraglos erfreulichen Abschnitt zwischen den Zeilen harsche Kritik hervor: Cosimo zähmte den Ehrgeiz in Florenz und ganz Italien, aber er konnte ihn nicht wie die Staatsmänner der römischen Republik in die Dynamik der Eroberung umsetzen.
Cosimo befriedete Florenz und erstickte damit zugleich die nobelsten Antriebe der Bürger. Er hatte nicht die Absicht, aus der Republik Florenz ein neues Rom zu machen. Das war schon deshalb ausgeschlossen, weil Cosimo laut Machiavelli zur Hälfte durch öffentliche Verdienste und zur Hälfte als Haupt einer Interessengruppe an die Macht gelangt war. Daher war er nun verpflichtet, die Erwartungen seiner Anhänger zu befriedigen; zugleich musste er ihnen stets aufs Neue beweisen, dass sie ohne ihn schlechter fuhren. Deshalb gab Cosimo zeitweise den Forderungen nach, wieder zum offenen Losverfahren für die Ämter der Republik zurückzukehren. Auf diese Weise zeigte er den großen Familien von Florenz, was sie an ihm hatten: Er allein schützte sie vor den politischen Ansprüchen von Handwerkern und Ladenbesitzern! Das alles machte der Chef des Hauses Medici genauso wie sein Sohn Piero und sein Enkel Lorenzo richtig. Sie alle handelten so, wie es Machiavellis Buch vom Fürsten dem uomo virtuoso vorschreibt, doch mit dem einen, alles entscheidenden Unterschied: Als Paten von Florenz machten sie die Republik zu ihrer Privatsache.
In diesem pervertierten Staatswesen kam man nicht durch Verdienst, sondern nur als treuer Parteigänger nach oben. Zum Lohn für diese Dienste wurden die Klienten des Hauses Medici von den Gesetzen ausgenommen, durch die Justiz begünstigt, mit wichtigen Ämtern betraut und mit Geld überschüttet. Durch den Aufstieg der Verdienstlosen aber geht die Republik zugrunde, wie sich an der militärischen Schwäche von Florenz zeigt. Die Stärke der Medici war also die Schwäche des Staates; sie saugten ihn aus, um sich zu behaupten.
Das wusste Cosimos Enkel Lorenzo sehr genau. Als die Pazzi die Herrschaft der Medici stürzen wollten, doch an ihrem stümperhaft durchgeführten Anschlag selber zugrunde gingen, präsentierte er sich in einer feierlichen Ansprache als Vollstrecker des florentinischen Volkswillens und der Freiheit. Ein freies Volk – so Machiavellis lakonischer Kommentar – gibt es jedoch in Florenz schon lange nicht mehr: Das Volk haben die Medici mit ihrem Geld bestochen, die Freiheit haben sie durch die Begünstigung ihrer Kreaturen erstickt.
Um sich und seine Familie an der Macht zu halten, setzte Lorenzo auf die Kunst der Diplomatie, die er meisterlich beherrschte. Dadurch konnte er es sich erlauben, Florenz militärisch schwach zu lassen. Die Virtuosität des Außenpolitikers wird so zum Ersatz für eine Bürgermiliz. Und die Geschichte von Florenz wird auf diese Weise zu einer Geschichte des Scheiterns, ja eines historischen Fluchs. So wie die bösen Göttinnen in Machiavellis Sinngedichten verhängnisvolle Eigenschaften unter den Menschen ausstreuen, so hängt die politische Verdammnis seit jeher über der Stadt am Arno. Hier herrschten in Machiavellis Sicht immer nur Parteien, die sich gegenseitig bekämpften und den Staat dadurch verkümmern ließen. Die produktive Konkurrenz zwischen den Großen und dem Volk, wie sie Rom groß gemacht hatte, konnte sich deshalb in Florenz nie einstellen.
Als Geschichte des Scheiterns sind die «Florentinischen Geschichten» zugleich eine Chronik der verpassten Gelegenheiten, einen starken und freien Staat zu etablieren. Eine Chance bot sich 1378, als der Aufstand der
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