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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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Handlungsfreiheit: Er konnte sich neutral verhalten, ein Bündnis mit dem Kaiser schließen oder aber an der Allianz mit Frankreich festhalten. Der Medici-Papst war entschlossen, diese Situation zum eigenen Vorteil auszunutzen; dazu waren eigene Truppen unabdingbar. Dass die Operation «Bewaffnet die Romagna!» ungeachtet aller lockenden Perspektiven nicht ohne Risiko war, deutete das päpstliche Begleit-Breve an, das Machiavelli Guicciardini zu überbringen hatte:
Doch dazu braucht es, wie wir glauben, nicht nur ganz ungewöhnliche Ordnung und Sorgfalt, sondern auch den Eifer und die Liebe unserer Untertanen.[ 16 ]
    Genau daran aber mangelte es laut Gucciardini, der seine Meinung zu diesem Projekt am 22. Juni 1525 in einem – kurz darauf nochmals überarbeiteten – Schreiben an seinen Agenten Cesare Colombo in Rom niederlegte:
Ich will nicht unerwähnt lassen, dass es an einer weiteren Grundlage für dieses Vorhaben fehlt, das Unser Herr (Clemens VII.) so klug in seinem Breve anspricht und das in meinen Augen geradezu eine Voraussetzung dafür bildet: Es fehlt an Neigung und Liebe des Volkes. Die Kirche hat in der Romagna keine Freunde, weil diejenigen, die ein geordnetes Leben führen wollen, eine Herrschaft missbilligen, die Leib und Leben ihrer Untertanen nicht zu schützen vermag.[ 17 ]
    Auch die Gründe für die miserable Regierung der Päpste in ihrer nördlichen Provinz verschweigt der «Präsident» nicht: Im Kirchenstaat bleiben die Verbrecher ungestraft und die Gesetze unbeachtet, da man sich von allem freikaufen kann. Zudem gelten die Regeln nur so lange, wie der jeweilige Papst lebt. Ohne Schutz von oben sind die Einwohner dieser Provinz seit langem daran gewöhnt, sich selbst zu helfen. Fehden zwischen Familien und Clans, Weilern und Dörfern, Städten und Regionen prägen daher den Alltag. Darüber hinaus sind die Führer der rivalisierenden Parteien an die großen Mächte angebunden, was sie mit den antiquierten Namen Ghibellinen (Kaiserfreunde) und Guelfen (Frankreichfreunde) dokumentieren. Zu allem Überfluss sind Gemeinden und Städte hoch verschuldet und können daher die Kosten der Miliz keineswegs tragen. Diese dennoch aufzustellen hieße, den Funken in ein Pulverfass zu schleudern. Binnen kurzem wäre die ganze Provinz in Aufruhr und für die päpstliche Herrschaft verloren. Hände weg von diesem selbstmörderischen Projekt, so lautete das Fazit Guicciardinis.
    Wie Machiavelli hatte der Gouverneur der Romagna den Mut, seinem Herrn unangenehme Dinge zu sagen. Seine Warnung hatte den erwünschten Erfolg. Die Volksbewaffnung in der Romagna blieb aus. Bei nüchterner Einschätzung der Lage mussten sich Guicccardinis Schlussfolgerungen als richtig erweisen: Wenn es zu einem Krieg kommen sollte, wäre eine romagnolische Miliz für Rom ein Risikofaktor ersten Ranges. Hätte der Romagna-Spezialist Machiavelli das nicht selbst wissen müssen? War er so sehr in seine Theorie von der Überlegenheit des Volksheeres verliebt, dass er alle Gegenargumente und Warnungen in den Wind schlug? Oder wollte er in Wirklichkeit das Gegenteil erreichen? Wenn Clemens VII. in dem europäischen Großkonflikt, der sich im Sommer 1525 am europäischen Horizont abzeichnete, den Kürzeren zog, wären die Tage der Medici in Florenz gezählt und die Voraussetzungen für einen politischen Neuanfang am Arno geschaffen. Dennoch ist die Hypothese, dass Machiavelli den Papst mit der Idee von der Volksmiliz in einer Falle locken wollte, gewagt, auch wenn knapp zwei Jahre später tatsächlich eine Niederlage des Papstes in Rom zu einem Neuanfang in Florenz führte. Trotz aller gegenteiligen Erfahrungen setzte Machiavelli nämlich auch in den kritischen Jahren 1525 und 1526 auf Frankreich. Dass der Papst, der ähnlich dachte, damit seinen eigenen Ruin beschleunigte, konnte oder wollte er nicht sehen. Die plausiblere Erklärung für Machiavellis spätes Miliz-Projekt ist daher, dass er damit ein weiteres Mal seinen selbst geschaffenen Mythen Tribut zollte – fernab von der politischen und militärischen Realität.
    Guicciardinis harsche Absage an sein Lieblingsprojekt war für Machiavelli fraglos eine Enttäuschung. Diese versuchte der vierzehn Jahre jüngere Karrierediplomat aus dem engsten Umkreis Clemens’ VII. brieflich wieder gutzumachen:
Über das Lob, das Euch zuteil wurde, freue ich mich von Herzen, weil ich Euch jegliche Art der Zufriedenheit dringend wünsche. Und ich versichere Euch, wenn ihr hierhin zurückkommt,

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