Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Qualitäten dem Staat zugute kommen zu lassen. Am Ende erwiesen sich die Beharrungskräfte der konservativen Mentalitäten als stärker, die politische und soziale Revolution blieb aus. Stattdessen saß das Patriziat in der Folgezeit fester denn je im Sattel.
Wie falsch die Geschichte der Republik Florenz für Machiavelli in der Folgezeit verlief, zeigte er vor allem an ihrer militärischen Schwäche auf. Selbst wenn die Florentiner ausnahmsweise einmal siegten wie in der Schlacht von Anghiari über Mailand im Jahre 1440, kam nach stundenlangem Schlachtgetümmel nur ein einziger «Krieger» ums Leben: Er stürzte durch seine Ungeschicklichkeit vom Pferd und brach sich das Genick. Damit verhöhnte Machiavelli ein weiteres Mal die humanistischen Lobredner der Macht und der Mächtigen, in deren pompösem Stil er den Kampf zuvor geschildert hatte. In extremem Gegensatz zu den üblichen Geschichtswerken der Humanisten, die das Lob tugendhafter Herrscher und sinnvoll geordneter Gesellschaften sangen, sind die Istorie Fiorentine Enthüllungs-Historie par excellence. Machiavelli geht es darum, hinter die Fassaden der Propaganda zu blicken und die Kräfte aufzuzeigen, die ungerechte Sozial- und Staatsordnungen zusammenhielten: Täuschung und Gewalt auf der Seite der Mächtigen, Angst und Aberglaube bei den Unterdrückten. Von Cicero bis Leonardo Bruni war die Klientel als Keimzelle der Politik und mit ihr das «Ich gebe, damit du gibst» als Grundprinzip der Republik konsequent verdrängt und ausgeblendet worden. Machiavelli allein hatte den Mut, dem laut Bruni durch Freiheit und Offenheit für Verdienst perfekten Freistaat Florenz den Spiegel vorzuhalten: Alle Macht ist Raub und all ihre Rechtfertigung pure Ideologie. Die Verdammten dieser Erde haben deshalb jedes Recht der Welt, ihre Unterdrücker zu stürzen und sich selbst zur Herrschaft aufzuschwingen. Im Gegensatz zu Karl Marx dreieinhalb Jahrhunderte später glaubte Machiavelli jedoch nicht, dass sich durch einen solchen Umsturz an der menschlichen Natur irgendetwas ändern würde.
Die Ruhe vor dem Sturm
Zu Beginn des Jahres 1525 wurde Machiavellis Clizia mit großem Erfolg in Florenz auf die Bühne gebracht, und zwar im Hause des Geschäftsmanns Jacopo Falconetti, genannt Il Fornaciaio, der Kalkbrenner. Im Umkreis dieses reichen Plebejers lernte Machiavelli die junge Sängerin Barbera Salutati Raffani kennen, mit der er eine leidenschaftliche Liaison begann.
Im Juni 1525 reiste er schließlich doch noch nach Rom, um Clemens VII. seine Istorie Fiorentine zu überreichen. Der Papst revanchierte sich mit einem Geldgeschenk von 120 Dukaten aus seiner Privatschatulle. Machiavelli nutzte die Gunst der Stunde, um Clemens und dessen engste Ratgeber von einem Projekt zu überzeugen, das sich in diesen kriegerischen Zeitläufen anzubieten schien, nämlich Miliz-Truppen aus dem eigenen Herrschaftsgebiet in Dienst zu stellen. Der Papst war mit diesem Plan leicht zu beeindrucken, da er immer noch mit der von seinem Vetter verursachten Finanznot des Heiligen Stuhls zu kämpfen hatte und darüber hinaus – wie sich bald zeigen sollte – geizig veranlagt war. Vor diesem Hintergrund schien eine Miliz, wie sie Machiavelli vorschlug, die ideale Lösung: 20.000 Mann aus der Romagna, deren Bewohner als beste Soldaten Italiens galten, in eigener Regie ausgehoben und von eigenen Offizieren geführt! Clemens VII. war so begeistert, dass er Machiavelli schnurstracks nach Faenza zu Francesco Guicciardini schickte, der als «Präsident», das heißt päpstlicher Gouverneur der Romagna für die Umsetzung des Projekts zuständig war beziehungsweise wäre. Denn der zögerliche und chronisch unentschlossene Papst hatte zwar seinem Enthusiasmus für das Projekt Ausdruck verliehen, doch noch nichts entschieden. Erst einmal sollte sich der Fachmann Guicciardini zu diesem Vorhaben äußern, von dem laut Clemens VII. so viel abhing:
Es handelt sich hier, wie wir meinen, um eine große Sache. Ja, das Heil des Kirchenstaats, Italiens und nahezu der ganzen Christenheit steht dabei auf dem Spiel.[ 15 ]
Diese Beschreibung der Lage war im Juni 1525 gelinde gesagt übertrieben. Kaiser Karl V. hatte dem Papst nach seinem Sieg bei Pavia zwar sein Missfallen darüber ausgedrückt, dass dieser zu Frankreich gehalten und damit seine Pflichten als Vater aller Christen verletzt hatte, aber zu Repressalien hatte sich der Sieger nicht hinreißen lassen. Clemens VII. besaß daher die volle
Weitere Kostenlose Bücher