Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Frankreich. Am 14. Januar 1501 war Machiavelli wieder zu Hause. In seinen Augen war die Mission ein vollständiger Misserfolg: Florenz hatte das Unvermeidliche nur hinausgezögert und sich dadurch ohne Not gedemütigt. Zudem hatte sich die Politik der Republik trotz der negativen Erfahrungen mit Ludwig XII. um kein Jota verschoben: Die Regierenden setzten unbeirrt weiterhin ganz auf Frankreich. Schenkte man Machiavellis Büroleiter Biagio Buonaccorsi Glauben, der seinen Vorgesetzten während dessen Abwesenheit wie gehabt mit den neuesten Nachrichten zur Florentiner Politik und mit dem aktuellen Büroklatsch versorgte, dann hatten dessen Berichte aus Frankreich wegen ihres Scharfsinns die Bewunderung der Stadtregierung erregt. Doch daran darf man mit Fug und Recht zweifeln, nicht nur weil Buonaccorsi ein professioneller Schmeichler war. Mit seiner rückhaltlosen Offenheit in Sachen des französischen Königs hatte der Chef der Zweiten Kanzlei Tabus gebrochen. Darüber hinaus hatte er nicht einfach nur Gespräche wiedergegeben, sondern seinen Auftraggebern die Politik zu diktieren versucht.
Der eigentliche Gewinn der Reise bestand für Machiavelli daher in neuen Erkenntnissen: Je näher die Menschen der Macht standen, desto mehr wurden sie vom Ehrgeiz angestachelt; das konnte man bei Hofe trefflich studieren. Die Mächtigen wie Ludwig XII. selbst werden von avarizia beherrscht: dem unstillbaren Drang, nichts von ihrer Macht und ihrem Reichtum abzugeben, auch wenn sie dadurch noch viel mehr gewinnen könnten. Die bitterste Einsicht betraf die Florentiner Politik: Mit Wankelmut und Nachgiebigkeit erreichte man gar nichts. Das Auftreten der Republik wurde allzu deutlich von Angst diktiert; wer diese durchscheinen ließ, hatte von vornherein verloren. Und noch etwas ließ sich als ewig gültige Lehre formulieren: In einem intriganten Milieu wie dem Hof kann man sich nur durch Gegenintrigen behaupten; Netzwerke lassen sich nur durch Netzwerke aushebeln. Man muss sich also auf die Regeln korrupter Systeme einlassen, um diese zuerst mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und dann einen besseren Staat einzurichten. Der Zweck heiligt alle Mittel.
Häusliches Intermezzo
Nach seiner Rückkehr blieb dem Chef der Zweiten Kanzlei kaum eine Atempause. Schon am 7. Februar 1501 erhielt er erneut eine Instruktion für eine heikle Mission: In Pistoia waren Unruhen ausgebrochen, in deren Folge sich diese Untertanenstadt gegen Florenz erhob. Die Stadtregierung griff zu militärischen Maßnahmen und schickte Niccolò Machiavelli an den Ort des Geschehens, um genauere Informationen über Gründe und Hintergründe des Aufruhrs zu erhalten. Originalberichte von Machiavellis Hand sind nicht erhalten, doch arbeitete er die Ergebnisse seiner Erkundungen im Jahr darauf zu einem Memorandum aus. Die Ursache der Unruhen sah er im Streit zwischen den beiden führenden Pistoieser Clans der Panciatichi, den Gefolgsleuten der Medici, und der Cancellieri, die auf der Seite des governo largo standen. Damit war, so Machiavelli, die Autorität der Signoria herausgefordert. Wenn dieser Bürgerkrieg nicht der Anfang von ihrem eigenen Ende sein sollte, musste sie mit aller Härte durchgreifen. Anderenfalls würden die Anhänger der Medici darin ein Fanal sehen. Florenz durfte sich auf keinerlei Kompromisse einlassen. Stattdessen musste die rebellische Stadt mit aller Härte militärisch in die Knie gezwungen werden, danach bedingungslos kapitulieren und schließlich von den Siegern politisch völlig neu geordnet werden, und zwar in deren ureigenem Interesse. Doch auch in diesem Fall hörte die Republik nicht auf die Ratschläge ihres Zweiten Kanzlers. Mit ihrem unentschlossenen Vorgehen zog sie den Konflikt in die Länge, um am Ende die alten, in Machiavellis Augen unsicheren Rechtsverhältnisse mit der Untertanenstadt zu erneuern.
Während der Aufstand in Pistoia schwelte, ordnete Niccolò Machiavelli, mittlerweile 32 Jahre alt, sein bescheidenes Privatleben von Grund auf neu. Männer, die alleine leben, hausen wie die wilden Tiere: Der Satz stammt aus Machiavellis Komödie La Mandragola, aber er ist ohne Frage ernst gemeint. In eigener Sache zog er im Sommer 1501 die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis und heiratete Marietta Corsini. Ehen wurden damals ausschließlich nach sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten geschlossen, Emotionen spielten so gut wie keine Rolle. Auf dem florentinischen Heiratsmarkt hatte der Bräutigam – ganz im Gegensatz
Weitere Kostenlose Bücher