Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Valentino», wie man den Papstsohn nach seinem französischen Lehen nannte, seine Feldzüge ohne Rücksicht auf Verluste, mit hohem Einsatz, schnell und mit mancherlei Finten. Das kam Machiavellis Vorstellungen von erfolgreicher Kriegführung entgegen.
Auf diese Weise eroberte Cesare Borgia im Juni 1502 das Herzogtum Urbino, wo seit Jahrhunderten die alteingesessene Adelsfamilie der Montefeltro herrschte. Doch für Cesare Borgia zählte die Tradition nicht. Den vertriebenen Herzog Guidobaldo, der in letzter Minute entkommen konnte, ließ er in ganz Italien von seinen Schergen jagen. Alle Staaten, denen an der Freundschaft der Borgia gelegen war, mussten hoch und heilig versprechen, dem Geächteten kein Asyl zu gewähren. Unterschlupf fand der schwerkranke Flüchtling schließlich in Venedig, das sich nicht erpressen ließ – im Gegensatz zu Florenz, das erneut vor dem herrischen Herzog kuschte. Die Unterwürfigkeit ging so weit, dass die Stadtregierung ihm sogar ihre Glückwünsche zur Eroberung von Urbino sandte. In Wirklichkeit war ihr angesichts des kometenhaften Aufstiegs der Borgia alles andere als wohl. Diese brachen alle Normen und Tabus – wohin sollte das führen, was musste man fürchten, was durfte man hoffen? Um das alles zu erfahren, musste man einen Kundschafter zum Duca Valentino schicken. Und dafür kam nur einer in Frage: Niccolò Machiavelli!
Cesare Borgia 1: Präludium
Machiavelli reiste nicht allein nach Urbino. Dem Rang nach stand er auch in dieser Gesandtschaft nur an zweiter Stelle. Oder wie es die Stadtregierung in ihrem Beglaubigungsschreiben vom 22. Juni 1502 sehr viel würdevoller und gewundener ausdrückte:
Wie Eure Exzellenz in Ihren Briefen ersuchte, haben wir Euch umgehend den ehrwürdigen Herrn Francesco Soderini, Bischof von Volterra, geschickt, der Bürger unserer Stadt ist und, von vornehmster Abkunft, dort höchstes Ansehen, Vertrauen und Autorität genießt – ganz so, wie es Eure Exzellenz verdient.[ 29 ]
In dem Brief wird Machiavelli, der die gesamte Korrespondenz von Urbino nach Florenz besorgen sollte, nicht einmal erwähnt. Dabei war Francesco Soderini alles andere als eine rein diplomatische Anstandsperson. Gebildet, politisch äußerst umtriebig und an der Kurie hervorragend vernetzt, war er für den Chef der Zweiten Kanzlei nicht nur Vorgesetzter, sondern auch ein ernst zu nehmender Gesprächspartner. So ist davon auszugehen, dass Machiavelli seine Eindrücke von Cesare Borgia und dessen Plänen vorher mit Soderini diskutierte und seine Berichte von diesem gegenlesen ließ. Wie sehr der wendige Prälat Soderini die Dienste Machiavellis schätzte, geht aus einem ausnahmsweise von ihm selbst verfassten Schreiben an die Dieci di Balìa, das Florentiner Außenministerium, hervor:
So bitte ich Sie noch einmal, mich entweder von diesem Amt zu entbinden oder, wenn es nur irgendetwas, und sei es noch so nebensächlich, zu verhandeln gibt, mir ihn (= Machiavelli) zur Begleitung zu geben, damit ich Ihnen vernünftig dienen kann – wenn nicht, erkläre ich hiermit, nicht mehr zu tun als unbedingt nötig.[ 30 ]
Das war ein schönes Kompliment für den Chef der Zweiten Kanzlei, und ein vielversprechendes obendrein. Denn während die beiden Emissäre in Urbino verhandelten, begann in Florenz der Wahlkampf. Nach langem Hin und Her waren die Räte übereingekommen, eine einschneidende Verfassungsänderung zu wagen: Florenz sollte ein Staatsoberhaupt auf Lebenszeit bekommen! Dieser gonfaloniere a vita sollte in allen wichtigen Gremien Sitz und Stimme haben und zusätzlich das Recht bekommen, der Stadtregierung Vorschläge für Gesetze und Exekutivmaßnahmen zu machen. Damit wurde der neue «Bannerträger» der Republik rechtlich in etwa dem venezianischen Dogen gleichgestellt; wie einflussreich er sein würde, hing davon ab, in welchem Maß er seine Vollmachten nutzen konnte. Unter den 236 Kandidaten, die sich um das prestigeträchtige Amt bewarben, war Piero Soderini, der Bruder des Bischofs, einer der aussichtsreichsten. Insider munkelten, er werde aufgrund seiner Kompromissfähigkeit, seiner Jovialität und der geschickten Wahlhilfe seines Bruders das Rennen machen.
Machiavelli konnte das nur recht sein. Die Verhandlungen mit Cesare Borgia, dem wegen seiner Grausamkeit und Schläue berüchtigtsten Fürsten der Zeit, gaben ihm Gelegenheit, seine Fähigkeiten ins rechte Licht zu setzen. Gleich nach der Ankunft der Gesandten am 25. Juni 1502 begannen spät abends die
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