Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Drohung.
Während sich die Verhandlungen in sinnentleerten Riten erschöpften, hatte Machiavelli reichlich Gelegenheit, auf politische und psychologische Erkundungstouren zu gehen: Was steckte hinter der französischen Verhandlungsposition? Warum versteifte sich ein König, der als der reichste der Christenheit galt, auf die Zahlung dieser für ihn lächerlich geringen Summe? Wer hatte das Sagen am Hof, und welche Regeln galten dort? Und wie konnte man durch den Hof Einfluss auf den König und seinen Minister gewinnen? Wie der Erzteufel Belfagor Mensch wurde, so wurde Machiavelli Höfling und erforschte die Gesetze einer fremden und nicht selten befremdlich anmutenden Gesellschaft. Irritierenderweise lautete seine erste Frage: War das überhaupt ein Hof?
Sie werden mir verzeihen, wenn ich im Folgenden einige Dinge schreibe, die gegen den Anstand gerichtet zu sein scheinen. Diese Majestät lebt, verglichen mit seinem Vorgänger, mit extrem wenig Hof; und von diesem bisschen Hof besteht ein Drittel aus Italienern. Und man sagt, der Hof sei deshalb reduziert, weil der König nicht so viel ausgeben wolle, wie von ihm erwartet werde. Und daher sind die Italiener bei Hof allesamt höchst unzufrieden …, denn diese Behandlung scheint ihnen gegen ihre Reputation gerichtet zu sein. Das alles weiß hier im Übrigen alle Welt.[ 22 ]
Das hieß unverschlüsselt: Der allerchristlichste König war ein Geizhals – und was für einer! Für die Florentiner Stadtregierung mit ihrer Frankreich-Verehrung war diese Entdeckung in der Tat schwer zu verkraften. Geizig waren Wucherer, ein König musste Großzügigkeit unter Beweis stellen. Freigebig musste er sich gegenüber den Armen, doch auch gegenüber Künstlern und Gelehrten erweisen. Ein von Gott eingesetzter Monarch hatte die Wissenschaften und die Literatur generös zu fördern, das schrieben ihm die tonangebenden Humanisten ins Pflichtenheft. Verweigerte er sich dieser Pflicht, musste er sich unangenehme Fragen nach seiner Legitimität gefallen lassen. Auch der Adel erwartete selbstverständlich, dass sich der König für dessen Dienste in der Armee und bei Hof erkenntlich zeigte. Stattdessen sparte dieser Monarch an allen Freizeitvergnügungen, am knauserigsten an der Jagd, speiste seine Höflinge mit Armeleuteessen ab und schickte sie um acht Uhr ins Bett.
Machiavellis Geiz-Diagnose war in Frankreich ein offenes Geheimnis. Für Florenz jedoch war sie neu und folgenreich, und zwar nicht nur wegen der offenen Rechung über die vermaledeiten 38.000 fiorini. Hinter der Besessenheit, mit der Ludwig XII. diesen Betrag forderte, stand für Machiavelli eindeutig mehr:
Und so scheint uns, dass sich die Bedingungen, wenn nicht etwas Unerwartetes geschieht, nicht verbessern werden. Denn was diese Majestät betrifft, so glauben wir nicht, dass er die Kosten der Unternehmung übernehmen wird. Und was uns dazu bewegt, dies zu glauben, ist seine Natur hinsichtlich des Geldausgebens. Konkret: so wie er sich bisher in den italienischen Angelegenheiten verhalten hat, will er aus dem Land Geld ziehen und dort kein Geld verlieren. Und dabei denkt er mehr an den gegenwärtigen Vorteil als an das, was daraus später entstehen könnte.[ 23 ]
So lautet Machiavellis Fazit schon in seinem Schreiben vom 27. August 1500, nach drei Wochen Aufenthalt an einem Hof, der wegen der Epidemie permanent umzog, die beiden Florentiner stets im Schlepptau. Die logische Konsequenz musste daher lauten: Hände weg von dieser Allianz! Wer auf Frankreich setzt, ist verloren. Machiavelli hütete sich jedoch, eine zu Hause so unerwünschte Schlussfolgerung selbst zu ziehen. Zu dieser Erkenntnis sollten die Regierenden in Florenz selber gelangen.
Wie konnte man aus der verfahrenen Lage herauskommen? Wie es nicht ging, sagte Machiavelli seinen Auftraggebern mit aller Deutlichkeit:
Daran zu erinnern, welche Treue Florenz der französischen Monarchie erwiesen hat, was sich zur Zeit von Ludwigs Vorgänger zugetragen hat, wie viel Geld Florenz für Frankreich ausgegeben, wie viele Gefahren sie für Frankreich auf sich genommen hat, wie oft sich Florenz in vergeblichen Hoffnungen gewiegt hat, was zuletzt unter Beaumont geschehen ist, welchen Schaden Florenz durch dieses Unglück erlitten hat, was der König von uns erhoffen dürfte, wenn wir nur stärker wären, welche Vorteile ihm unsere Größe in Italien verschaffen würde und wie wenig er sich auf die übrigen italienischen Mächte verlassen kann – von all dem zu
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