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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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Gesprächsprotokoll. War die Unterredung wirklich bedeutsamer als so viele andere mit Ludwig XII. oder Cesare Borgia geführte Verhandlungen? Schließlich richtete sich die Kampagne des «schrecklichen Papstes», wie die Römer Julius II. mit bewunderndem Unterton nannten, nicht gegen Florenz. Auch Machiavellis Aufträge waren Routine: Er sollte auf Zeit spielen und den Papst mit unverbindlichen Zusicherungen hinhalten. Die ungewöhnliche Genauigkeit und Ausführlichkeit der Berichterstattung dürfte daher einen anderen Grund gehabt haben: Machiavelli, der Menschen-Erforscher, hatte sich sein Bild von diesem Papst gemacht. Damit ihm die Regierenden in Florenz Glauben schenkten, sollten sie ihn hören, als seien sie dabei gewesen. Außerdem war Machiavelli stolz auf sein selbstbewusstes Auftreten:
Noch etwas ist für meine Herren (= die Dieci di Balìa) von Belang. Und das möge mir Eure Heiligkeit verzeihen: Die Angelegenheiten der Kirche lassen sich nicht wie die der Fürsten regeln. Wer aus dem Kirchenstaat aus dem einen Tor vertrieben wird, kommt postwendend durch das andere wieder hinein.[ 74 ]
    Das hieß im Klartext: Im päpstlichen Herrschaftsgebiet gelten keine Gesetze und gibt es keine Kontinuität. Speziell die Adligen machen, was sie wollen. Was eben noch ein Verbrechen ist, wird postwendend verziehen. Auf Päpste kann sich die Republik daher nicht verlassen. Denn auch sie kommen und gehen, zusammen mit ihnen Nepoten, Interessen und Strategien. Hatte ein Papst jemals von einem Botschafter solche harten Wahrheiten zu hören bekommen?
    Was Machiavelli sagte, war ohne Zweifel richtig, doch zugleich eine Provokation. Denn die Republik Florenz machte damit diskret, aber unüberhörbar deutlich, dass sie nicht bereit war, viel in die Unternehmungen dieses Pontifex maximus zu investieren. Julius II. blieb diese politische Geringschätzung nicht verborgen. Gleichsam als Antwort verwies der Papst Machiavelli auf Briefe Ludwigs XII., in denen ihm der französische König unverbrüchliche Treue und Unterstützung versprach. Doch damit kam er bei dem florentinischen Gesandten an die falsche Adresse. Was man von den Zusicherungen des allerchristlichsten Königs zu halten hatte, wusste dieser nur zu gut. Entsprechend skeptisch fielen Machiavellis erste Einschätzungen aus: Der Papst werde Stadtherren wie Giampaolo Baglioni nicht entmachten, sondern gegeneinander auszuspielen versuchen.
    Doch darin hatte er sich getäuscht, wie sich schnell zeigte. Julius II. zog bald nach der Unterredung mit Machiavelli als Triumphator in Perugia ein und stellte die Stadt wieder unter seine unmittelbare Herrschaft. Auch Florenz hatte schließlich zu gehorchen. In der Hoffnung, dass es nicht dazu kommen werde, hatte die Republik versprochen, nicht unter den letzten zu sein, die dem Oberhaupt der Christenheit Truppen stellten. Diese wurden Mitte Oktober 1506 kategorisch angefordert und daraufhin von der Stadtregierung in Marsch gesetzt. Als sie am 16. Oktober in Castrocaro eintrafen, war die Freude des kriegerischen Papstes groß:
Ich las dem Papst den Brief (= die Nachricht, dass die florentinischen Truppen unterwegs seien) vor. Kaum hatte er ihn vernommen, da rief er auch schon voller Freude den Datar und Herrn Carlo degli Ingrati und sagte: Ich will, dass ihr hört, welche Freunde Herr Giovanni (= Bentivoglio) hat und wer von den Nachbarn mehr geschätzt wird: die Kirche oder er.[ 75 ]
    Der Widerspruch in diesem Ausruf stach ins Auge: Offiziell ging es darum, den Ruhm der Kirche zu mehren. Doch in Wirklichkeit nahm dieser Papst, kleiner Leute Kind, alles sehr persönlich und pochte bei jeder Gelegenheit auf seine Ehre. Mit der Größe des Papstamtes hatten schon seine Vorgänger die Politik zugunsten ihrer Familien gerechtfertigt; selbst Alexander VI. hatte die Eroberungen seines Sohnes Cesare damit begründet.
    Die Frage war, was Julius II. mit dieser stereotypen Formel meinte. Ganz im Stile seiner Vorgänger nötigte auch er Florenz Schutzversprechen für seine Nepoten ab, vor allem für die Herrschaftsnachfolge seines Neffen in Urbino. Doch der Feldzug, dessen Stationen Machiavelli im Gefolge des päpstlichen Hofes besuchte, galt nicht der Größe der Della Rovere, sondern allein der Festigung des Kirchenstaats. Bei aller Verwandtenförderung ging es diesem Papst zum ersten Mal seit Jahrzehnten darum, seine persönliche Größe durch die Stärkung des Papstamtes unter Beweis zu stellen. Zu diesem Zweck mussten die regionalen

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