Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Verdienstes werden! Nicht nur in seinen Gesandtschaftsberichten, sondern auch in seiner Denkschrift zur Miliz hatte der Chef der Zweiten Kanzlei seinen Vorgesetzten harte Wahrheiten zu sagen.
Doch würde sein System funktionieren? Bedenken lagen auf der Hand. Fraglich war, ob die Bauernsoldaten fremden Offizieren überhaupt gehorchen würden. Auch ihre Kampfbereitschaft musste in Zweifel gezogen werden. Die Einwohner der Untertanengebiete hatten keinerlei Mitspracherechte im politischen Leben der Republik Florenz, wohl aber lokale Freiräume und Privilegien. Diese wurden jedoch durch die neue Militärdienstpflicht eingeschränkt. Woher der von Machiavelli so wortmächtig beschworene Patriotismus im Mugello und Casentino kommen sollte, war nicht zu erkennen. In guten Zeiten wurde die Herrschaft der Stadt mehr oder weniger willig hingenommen, in Krisen musste man mit Unruhen rechnen. Die Loyalität der neuen Bürgersoldaten galt ihrer Familie und deren Freunden, im Höchstfall dem Dorf. Ein toskanisches «Wir-Bewusstsein» mit entsprechender Ergebenheit gegenüber der Republik Florenz bildete höchstens eine schmale Elite aus.
All dessen war sich Machiavelli wohl bewusst, wie seine zahlreichen Vorsichtsmaßnahmen belegen. Im Gegensatz zu vielen Patriziern, die die neue Miliz aus Furcht vor Aufständen missbilligten, glaubte er jedoch an die unbegrenzte Prägekraft der politischen und militärischen Erziehung. Sie würde die nötige Disziplin einschärfen, die wiederum die altrömische virtus und ihre Werte erzeugte: Vaterlandsliebe, Mut zur Selbstaufopferung und Standhaftigkeit. Was die Bewaffnung seiner ländlichen Truppe betraf, so setzte Machiavelli allerdings nicht auf das altrömische Modell allein, sondern kombinierte die Ausrüstung der antiken Legionäre mit der modernen Bewaffnung der schweizerischen Fußtruppen. Auf diese Weise trugen die Bauernsöhne im Mugello und Casentino den eisernen Brustpanzer, mit dem sich Kaiser Augustus so gerne darstellen ließ, und dazu die Piken der eidgenössischen Reisläufer, mit denen diese seit über einhundert Jahren die Ritterheere Europas das Fürchten gelehrt hatten. Dazu kam eine schmucke rot-weiße Uniform nebst Mütze – und fertig war die neue florentinische Armee.
Machiavelli, der selbst ernannte Militärtheoretiker, exerzierte als erster mit dieser Truppe, und zwar voller Leidenschaft. Die Kompanien und ihr Exerziermeister müssen ein merkwürdiges Bild abgegeben haben: frisch ausgehobene Soldaten aus Gebieten, die des Kriegshandwerks seit vielen Generationen vollständig entwöhnt waren, und ein ebenfalls ganz unmartialisch anmutender Intellektueller von eher schmächtiger Statur, übermächtiger Beredsamkeit und ebenso lebhafter Gestik. Machiavellis Begeisterung taten die Anfangsschwierigkeiten keinen Abbruch. Auch diese ließen sich lösen. Bei einer ersten Truppenschau im Karneval 1506 machten seine Leute, glaubt man dem Tagebuchschreiber Luca Landucci, in Florenz bella figura. Diese Parade galt als das Schönste, was man in der Stadt Florenz jemals zu sehen bekommen hatte, so lautete die Notiz des sechsundsiebzigjährigen Gewürzhändlers.
Der Schöpfer dieser stolzen Truppe durfte sich in der Anerkennung seiner Mitbürger sonnen. So stimmte Kardinal Francesco Soderini äußerst schmeichelhafte Töne an:
Endlich haben wir dank Euch das Militärwesen richtig verstanden, das unseren Hoffnungen für das Heil und die Würde des Vaterlandes entspricht. Und die anderen Nationen sind unserem Fußvolk nur deshalb überlegen, weil sie größeren Wert auf Disziplin legen, die seit langem aus Italien vertrieben worden ist. Ihr aber müsst sehr zufrieden sein, da durch Ihre Hand der Grundstein für eine so würdige Sache gelegt wurde: Bleibt am Ball und führt das Projekt zum ersehnten Ziel![ 71 ]
Ein Dreivierteljahr darauf zollte der einflussreiche Kirchenfürst Machiavelli noch größeres Lob:
Es scheint uns wahrlich, als ob diese Militärordnung von Gott sei, denn sie wächst täglich, trotz der Bösartigkeit ihrer Gegner … Unserer Ansicht nach hat diese Stadt seit langem nichts gemacht, das so ehrenhaft und sicher ist wie diese Reform, vorausgesetzt sie wird gut angewendet. Dabei müssen alle Guten an einem Strick ziehen. Und sie dürfen sich nicht von denjenigen beirren lassen, die aus Eigennutz das Wohl dieser Stadt in ihrer neuen Freiheit nicht lieben. Diese neue Freiheit aber ist keine menschliche Errungenschaft, sondern ein göttliches Geschenk, wenn sie
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