Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
können. Alle intellektuelle Brillanz Machiavellis fiel dagegen nicht ins Gewicht. Doch vermuteten schon Zeitgenossen, dass sich hinter dieser Brüskierung weitere Motive verbargen. Den Gegnern des gonfaloniere Piero Soderini galt Machiavelli als dessen williges Geschöpf. Die Wahl des Zweiten Kanzlers zu annullieren, verschaffte den Salviati und ihren Verbündeten ohne Frage Genugtuung.
Zudem war die Gesandtschaft nach Deutschland innenpolitisch umstritten. Sollte man überhaupt mit dem Reichsoberhaupt diplomatischen Kontakt aufnehmen und falls ja, zu welchem Zweck? Dafür sprachen die Gerüchte, dass Maximilian eine Expedition nach Italien plane, um sich in Rom zum Kaiser krönen zu lassen, aber auch, um die Rechte des Reichs im «Königreich Italien» zu stärken. Dazu gehörte, zumindest theoretisch, auch Florenz, so dass genauere Informationen über die Ziele des Königs wünschenswert waren. Zudem war die Republik mehr denn je auf die Unterstützung auswärtiger Mächte angewiesen, um endlich Pisa zurückzuerobern. Gegen eine Gesandtschaft zum Kaiser sprach, dass sich Maximilian mit dem französischen König nach einer kurzen Phase des Ausgleichs wieder zerstritten hatte. Zankapfel war wie gehabt Mailand. Der Kaiser erkannte die französische Herrschaft in der Lombardei nicht an, sondern begünstigte weiterhin die Sforza. Wie würde Ludwig XII. darauf reagieren, dass Florenz seinen Feind um Hilfe ersuchte? Doch auch die notorische Geldknappheit Maximilans ließ engere Beziehungen problematisch erscheinen. In Deutschland hegte man seit langem phantastische Vorstellungen vom Reichtum der Italiener. Man musste also damit rechnen, mit exorbitanten finanziellen Forderungen konfrontiert zu werden. Auch als Politiker genoss der Habsburger nicht den besten Ruf. Er galt als unbeständig und unberechenbar. Wer sich mit ihm verbündete, lief Gefahr, an der Seite eines stets klammen Abenteurers in unabsehbare Risiken verwickelt zu werden. Das war für die vorsichtigen und sparsamen Florentiner Patrizier keine verlockende Vorstellung.
Am Ende kam ein typisch florentinischer Kompromiss zustande. Die Republik schickte einen Geschäftsträger zum Kaiser, doch ohne starkes Mandat. Francesco Vettori, der Gesandte, der anstelle Machiavellis die Reise nach Tirol antreten sollte, war ein Patrizier aus bester Familie, doch weder ein Parteigänger Soderinis noch seiner Feinde. Er war fünf Jahre jünger als Machiavelli, verhielt sich in den Flügelkämpfen der Republik zurückhaltend und galt als kompetent. Allerdings hatte er keinerlei diplomatische Erfahrung und war des Deutschen nicht mächtig. Das führte schnell zu Komplikationen. Kaum hatte Vettori den Kaiser in Tirol getroffen, da malte er auch schon ein Menetekel nach dem anderen an die Wand: Maximilian könne auf die Unterstützung aller wichtigen Reichsfürsten zählen, gewaltige Geldsummen aufbringen und mit diesen ein furchterregendes Heer aufbieten, um Italien zu unterwerfen. Um sich zu retten, müsse Florenz auf die finanziellen Forderungen des Reichsoberhaupts so schnell wie möglich eingehen. So lauteten die beängstigenden Nachrichten des florentinischen Geschäftsträgers, der sich offensichtlich von der geschickten Propaganda des Kaisers allzu sehr beeindrucken ließ.
Was plante Maximilian, wie groß war die Bedrohung tatsächlich? Damit waren Fragen aufgeworfen, die es auch in den Augen von Soderinis Feinden unumgänglich machten, Machiavelli, den Mann für die heiklen und verfahrenen Missionen, nach Deutschland zu schicken, und zwar so schnell wie möglich. Offiziell sollte Machiavelli Vettori nur neue Instruktionen überbringen, doch die hätte man auch einem Kurier anvertrauen können. De facto sollte der Chef der Zweiten Kanzlei als Kundschafter und Berater dienen: Er sollte nicht nur die konkreten Pläne, sondern auch den Charakter Maximilians ergründen, ihn auf seine Bündnisfähigkeit prüfen und dadurch seinem «Vorgesetzten» Vettori helfen, die schwer durchschaubare politische Situation einzuschätzen.
Eile tat Not, und so machte sich Machiavelli am 17. Dezember 1507 auf eine weite Winterreise. Verschneite Straßen, erschöpfte Pferde, blockierte Pässe und dauernde Geldknappheit machten sie beschwerlich. Wegen der widrigen Witterung und unsicheren Verkehrsverbindungen fiel die Route ungewöhnlich aus: Machiavelli zog über Mailand, wo er vor drohenden französischen Kontrollen seine Instruktionen vernichtete, nach Genf und von dort weiter nach
Weitere Kostenlose Bücher