Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
und zwar dadurch, dass sie keinerlei sichtbaren Aufwand betreiben. Dadurch wird zumindest eine Gleichheit der Bedürfnisse hergestellt, die eine soziale Gleichheit vorspiegelt. Für politische Stabilität reicht dieser Schein der Gleichheit aus, denn der frugale Lebensstil verhindert, dass die tatsächlich vorhandenen Ungleichheiten in der Verteilung des Reichtums Folgen nach sich ziehen. Auch hier zielt die Argumentation auf das Gegenbild Florenz ab: Dort erzeugt Reichtum Luxus, der in Sozialprestige umgemünzt werden soll, doch vor allem Neid und Hass erregt.
Dass Italien, das sich seit Jahrhunderten seiner zivilisatorischen, intellektuellen und künstlerischen Überlegenheit vor allen anderen Nationen rühmte, ausgerechnet von den germanischen Barbaren die Kunst der guten Regierung lernen sollte, war eine beispiellose Provokation. Wie knapp anderthalb Jahrtausende zuvor der Römer Tacitus hielt Machiavelli seinen Landsleuten den Spiegel vor. Darin sollten sie hinter der glanzvollen Fassade die Brüchigkeit ihrer Lebensordnung, besonders der militärischen Verhältnisse, erkennen. Auch das entsprach den Absichten des Tacitus, der seine Landsleute zur Tatkraft und Tapferkeit ihrer Vorfahren zurückführen wollte. Bei Machiavelli aber geht es nicht allein um Werte, sondern um konkrete Rezepte für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Armee und damit um die Grundordnung: dass der Einzelne für den Staat da zu sein hat und nicht umgekehrt.
Unter diesem Blickwinkel fehlte es auch in Deutschland nicht an Widersprüchen: Wie konnte der Herrscher eines so starken Landes so schwach sein? Um diesen Gegensatz zu erklären, rückte Machiavelli erneut die Charakterzüge Kaiser Maximilians ins Blickfeld, und zwar mit denselben Ergebnissen wie vor Ort in Tirol und Konstanz: Bei aller Tapferkeit und Lauterkeit war das Reichsoberhaupt für Machiavelli zu verschwenderisch, zu unstet, zu beeinflussbar. Mit diesen Eigenschaften war er das Gegenbild König Ludwigs XII., doch von Machiavellis Ideal des vollendeten Fürsten wie alle real existierenden Herrscher weit entfernt. Die notorische Geldverschwendung, Gutmütigkeit und Leichtgläubigkeit des Kaisers reichten als Erklärung für seine politische Schwäche allerdings nicht aus. Dahinter stand ein grundsätzlicher Konflikt: Fürsten und freie Städte bekämpften sich bis aufs Messer, waren sich jedoch darin einig, dass sie keinen starken Kaiser wollten. Daher hielten sie dessen Geldmittel knapp, zur Schande ihrer Nation. Diesen Kampf zwischen Monarchien und Republiken auf dem Boden des Reiches sah Machiavelli zum Vorteil der Städte entschieden: Ihnen gehörte die politische Zukunft Deutschlands, denn die Fürsten waren durch allzu viele Erbteilungen geschwächt. So dachten damals viele. Im Falle Machiavellis kam ohne Frage ein kräftiger Schuss florentinisches Wunschdenken hinzu: Wenn wir es wie die deutschen Reichsstädte halten, gehört uns Italien! Noch vorbildlicher aber waren für ihn die Eidgenossen, die ihren süddeutschen Nachbarn und Konkurrenten in einem Punkt weit voraus waren: Sie duldeten auf ihrem Gebiet keinen «echten» Adel mehr. Darunter verstand Machiavelli Familien mit Burgen, eigener Rechtsprechung und der Macht, selbständig Steuern einzuziehen und Truppen auszuheben. Solche Aristokraten waren für jeden Staat, der diese Bezeichnung verdienen wollte, tödlich, weil sie die Staatsgewalt schwächten.
Triumph in Pisa
Die in Deutschland gewonnenen Einsichten konnte der Chef der Zweiten Kanzlei bald nach seiner Rückkehr in die Heimat nutzbringend anwenden. Anfang 1509 drehte sich in Florenz wieder einmal alles um die Rückeroberung Pisas. Wie schon so oft schienen die Voraussetzungen dafür günstig. Um sich weiter abzusichern, schloss Florenz ein Bündnis mit der Republik Lucca, die die «Rebellen» in Pisa seit 1494 unterstützt hatte. Der gonfaloniere Piero Soderini hatte sich gegen diese Allianz ausgesprochen: Die Luccheser galten in Florenz seit jeher als unzuverlässig. Dabei leistete Soderini sein treuer Verbündeter Machiavelli verbale Schützenhilfe:
Aber da am Willen der Luccheser ebenso Zweifel angebracht sind wie an ihrer Fähigkeit, ihre Grenzen geschlossen zu halten, da ihr Gebiet zu groß ist, und da sie zudem des Gehorsams ihrer Untertanen nicht sicher sein können, so ist zu schließen, dass sich Florenz bei einer erfolgversprechenden Belagerung von Pisa nicht auf Luccas Unterstützung, sondern auf sich selbst verlassen muss.[ 85 ]
Das
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