Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
häufigsten starb. Diese Befürchtung erwies sich jedoch als ebenso unbegründet wie die ganze Mission: Maximilian zog nicht nach Rom, sondern gegen Venedig. Doch auch dieser Feldzug dauerte nicht lange. Schon im Juni 1508 war der Waffenstillstand beschlossene Sache.
Von fremden Ländern und Menschen
Zu diesem Zeitpunkt war Machiavelli bereits auf der Heimreise und machte Station in Bologna. Wieder einmal war eine diplomatische Dienstreise ergebnislos verlaufen. Doch das war für die Republik Florenz nicht das schlechteste Ergebnis. Am Ende hatte sie sich mit Maximilian auf 40.000 Dukaten geeinigt, doch ließ sich die Zahlung dieser Summe leicht hinauszögern. Auch ihre beiden Geschäftsträger durften sich bereichert fühlen.
Für Francesco Vettori war die Mission der Anstoß, um einen literarischen Text unter dem Titel «Reise nach Deutschland» zu verfassen. Darin schildert er eine ganz und gar unwirkliche Fahrt: Auf jeder Station, in jedem Gasthaus, trugen sich die unerhörtesten Vorkommnisse zu; Mord und Totschlag, Tragödien und haarsträubende Komödien waren an der Tagesordnung. Obwohl der Autor immer wieder betont, dass es so und nicht anders war, tritt schnell zu Tage, dass diese Reise nur in seiner Phantasie stattfand. So behauptet Vettori, Maximilian nie zu Gesicht bekommen zu haben, weil dieser permanent damit beschäftigt war, Hirsche zu schießen. Doch gerade die literarische Fiktion sollte zeigen, wie es wirklich war. In Dutzenden frei erfundener Kurznovellen stellte der Florentiner Patrizier die Welt dar, wie er sie sah, nämlich heillos. Die Menschen fanden sich in ein Dasein geworfen, in dem sie entweder Ausbeuter oder Ausgebeutete waren. Die Herrschenden verbargen ihre Machtgier hinter wohlklingenden Wortfassaden, die kleinen Leute mussten permanent lügen, betrügen und im Extremfall sogar morden, um zu überleben. Wer nach den Regeln Christi leben wollte, endete wie dieser auf der Richtstätte. Nur milde Herrscher konnten die Übel der Welt etwas lindern, zum Beispiel durch Großzügigkeit gegenüber den Armen. Zu diesem Zweck sollten sie keine Kriege führen, sondern spielen und ihre Höflinge gewinnen lassen, ohne dass diese es merkten. Das waren christlich anmutende Grundsätze aus der Feder eines Politikers, der den Glauben an Gott, die Kirche und die christliche Moral verloren hatte – wie Machiavelli, aber mit den umgekehrten Schlussfolgerungen.
Offenbar hatten Vettori und Machiavelli über die Freigebigkeit des Herrschers diskutiert. Für Vettori war sie, in Maßen praktiziert, eine Tugend. Für Machiavelli hing dies von der jeweiligen Situation ab; zudem kam es nicht auf das Sein, sondern auf den Schein an. Ein erfolgreicher Herrscher musste sich den Ruf der Großzügigkeit erwerben, doch sein Geld zugleich zielgerichtet zur Stärkung seiner Macht einsetzen.
Auch Machiavelli wertete seine Deutschlandreise aus, doch ganz anders als Vettori, nämlich in drei Denkschriften: dem «Bericht über die deutschen Angelegenheiten», dem «Diskurs über die deutschen Angelegenheiten und den Kaiser» und dem «Bild von den deutschen Angelegenheiten». Dass Machiavelli seine Eindrücke und Erfahrungen in Form knapper, auch für viel beschäftigte Amtsträger der Republik leicht fassbarer Synthesen zusammenfasste, zeigte seinen Anspruch, Experte für Deutschland und darüber hinaus für die Eidgenossenschaft zu sein. Diese gehörte rein rechtlich weiterhin zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, bildete jedoch in diesem Rahmen einen eigenständigen, weitgehend unabhängigen Bund. Als einen solchen Sonderfall schildert sie Machiavelli auch:
Es mag seltsam erscheinen, dass die Schweizer und die deutschen Reichsstädte verfeindet sind, weil beide dasselbe Ziel haben, nämlich ihre Freiheit zu bewahren und sich gegen die Fürsten zu schützen. Doch diese Uneinigkeit entsteht daraus, dass die Schweizer nicht nur wie die Reichsstädte Feinde der Fürsten, sondern der Edelleute insgesamt sind. Denn in ihrem eigenen Land dulden die Schweizer weder die eine noch die andere Spezies. Stattdessen genießen sie ohne jeden Unterschied des Ranges – mit Ausnahme derer, die als gewählte Amtsträger tätig sind – eine wirklich freie Freiheit (una libera libertà).[ 81 ]
Der letzte Ausdruck hatte es in sich: Wenn es eine freie Freiheit gab, dann gab es auch eine unfreie Freiheit. Wo diese zu finden war, wusste der Leser wohl: in Florenz, wo es zwar eine Republik mit einer freiheitlichen Verfassung,
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