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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt
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Gesandten in der alten Scaliger-Stadt. So vertrieb sich Machiavelli die Zeit auf seine Weise, wenn man seinem Brief an Luigi Guicciardini vom 8. Dezember 1509 Glauben schenken darf:
Es ist zum Verzweifeln, Luigi! Schau dir an, wie Fortuna die Menschen bei ein und derselben Sache unterschiedlich behandelt! Du hast Sex mit der einen Frau gehabt, hast mit Erfolg einer zweiten nachgestellt und schließlich eine dritte gehabt. Ich aber, der ich nach einigen Tagen Aufenthalt vor Geilheit fast blind war, bin an eine alte Wäscherin geraten, die in einem unterirdischen Loch lebt, in das nur durch den Ausgang Licht fällt.[ 88 ]
    Was folgte, war Sex in seiner schaurigsten Variante. Die lüsterne Alte, so Machiavelli weiter, stellte sich bei Helligkeit als wahres Schreckgespenst heraus: Sie schielte, war kahl, verlaust, zahnlos, stank infernalisch, hatte den Feuerbrand im Gesicht, einen Mund wie Lorenzo der Prächtige (das heißt: überbreit), verfilzte Brauen, aufgeschlitzte Nasenlöcher, einen Bart von den Lippen bis zum Kinn. Moral der unappetitlichen Geschichte:
So dankt Ihr nur Gott für die Hoffnung auf die Wiederholung Eurer Vergnügungen. Ich aber danke ihm dafür, dass ich die Furcht verloren habe, ein solches Missvergnügen noch einmal zu erleben.[ 89 ]
    Hatte er die abstoßende Episode selbst tatsächlich erlebt oder erfunden? Machiavelli gilt als der erste «Realist» der politischen Theorie und damit als derjenige, der als erster den Mut hatte, unangenehmen Tatsachen ins Auge zu sehen. Doch diese Einschätzung ist so fragwürdig wie die Einstufung des Berichts als glaubwürdig. Hellhörig musste der Empfänger des Briefs bei der Bemerkung werden, dass die Alte einen Mund wie Lorenzo de’ Medici gehabt habe. Das war eine politische Anspielung mitten in der pornographischen Erzählung. Hatte diese deshalb eine politische Bedeutung? Wenn ja, was könnte die politische Aussage der so drastisch geschilderten Begebenheit sein?
    Hinweise bieten die Person des Brief-Empfängers und sein Aufenthaltsort. Luigi Guicciardini, der ältere Bruder des späteren Historikers Francesco, war einer der erfolgreichsten primi der jüngeren Generation. Vor 1494 hatte dieser Zweig der Familie Guicciardini zu den engsten Gefolgsleuten der Medici gezählt und davon reichlich profitiert. Unter dem governo largo verhielten sich Piero Guicciardini und seine Söhne Luigi und Francesco loyal, jedoch ohne es mit den Medici im Exil zu verderben. Machiavellis Vergleich der ekligen Alten mit dem «prächtigen», doch in seinen Augen politisch alles andere als anziehenden Lorenzo de’ Medici war also gewagt. Er konnte als Anspielung darauf verstanden werden, dass sich die vornehmsten Patrizier durch ihre Kollaboration mit dem Tyrannen gründlich desavouiert hatten.
    Den «Bericht» aus Verona schickte Machiavelli nach Mantua. Dort war er selbst einige Tage zuvor gewesen, jetzt war ihm der Patrizier Luigi Guicciardini in einer offiziellen und sehr viel prestigeträchtigeren Mission nachgefolgt. Das musste der Zweite Kanzler als eine unerträgliche Herabwürdigung empfinden. Während er in Verona im Dreck wühlte, genoss Guicciardini im eleganten Mantua das Leben! Diese Botschaft ist unüberhörbar, und damit auch die politische Kritik: Fortuna begünstigt die Menschen nicht nur bei amourösen Abenteuern unterschiedlich, sondern bestimmt in schlecht geordneten Republiken sogar den ganzen Lebensweg. Dem einen fällt alles in den Schoß, der andere kann Verdienst auf Verdienst häufen, ohne zu reüssieren. Auch der Zeitpunkt der Epistel ist daher zu beachten: Die Miliz hatte in den Augen der meisten Florentiner entscheidend zur Eroberung Pisas beigetragen, und deren Organisator wurde zum Dank auf eine obskure Mission nach Norditalien geschickt.
    Und noch ein Feindbild zeichnet sich in dem bemerkenswerten Brief ab. Obwohl das Vorbild des Horaz, der von einem ähnlichen «Missgeschick» zu berichten weiß, für den literarisch beschlagenen Empfänger des Schreibens unübersehbar sein musste, ist der Text so antihumanistisch wie nur möglich gehalten. In krassem Gegensatz zu den Literaten im Umkreis der Medici wie Angelo Poliziano, die den amourösen Stoff ihrer Dichtungen so weit wie möglich vergeistigten, beschreibt Machiavelli «Liebe» in ihrer schmutzigsten und niedrigsten Form und in reinster Vulgärsprache. So wie sich Machiavelli hier ausdrückte, hätte Gianmatteo, der Landarbeiter, der den Teufel im «Belfagor» nasführte, reden können.

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