Macho-Mamas
Süßigkeiten ablenken.
› Sie freuen sich zwar, dass Ihre Kinder Höhlen der Wissbegierde öffnen, Ihr eigenes Wissen erweist sich aber angesichts der Höhlengröße als höchst unzureichende Taschenlampe, deren Batterie viel zu früh den Geist aufgibt. («Wenn die Geschichte mit dem Urknall stimmt, ist die Schöpfungsgeschichte dann eine Lüge? Warum ist unsere Welt so, wie sie ist? Warum sind die Menschen böse? Warum müssen wir sterben?») Anstatt sich ihrer Abenteuerlust anzuschließen und in unerforschte Gefilde vorzustoßen, erinnern Sie an die begrenzten Vorräte, die unzureichende Ausrüstung oder sagen: «Ich weiß es einfach nicht.» Dabei sind Sie nur zu müde und erschöpft, um das Abenteuer zu wagen.
› So sehr Sie die Kreativität Ihrer Kinder lieben, manchmal geht Ihnen deren unstillbares Aufmerksamkeitsbedürfnis auf den Geist. Und wenn sie darauf bestehen, von Ihnen zu hören, was für ein wunderbares Kunstwerk sie wieder gebastelt haben, wie toll sie schon Purzelbäume schlagen können, dann geht Ihnen irgendwann Ihr Kontingent an begeistertem Applaus aus. Sie antworten zunehmend undeutlich mit «Mhmmdoll» und «Schehrschöndochwrklch», bis Sie nach der fünfzehnten Aufforderung, doch hinzuschauen, wie das Kind auf einem Bein stehen kann, sehr artikuliert sagen: «Ja, toll, aber ich habe jetzt einfach keine Zeit für deine Kindereien.» Wonach Sie sich sofort schrecklich fühlen und den Ausfall mit dem doppelten Aufwand ungeteilten Interesses wiedergutmachen müssen.
Aber wenn Sie sich Ihre Kinder anschauen und erkennen, wie sie sich prächtig entwickeln und mit ihrer Existenz zufrieden sind, können Sie davon ausgehen, dass Sie keine Traummutter sind. Denn Traummütter, zumindest dürfen wir das hoffen, werden beim Nachwuchs vor allem Neurosen hervorrufen, denn Perfektion ist nun mal nicht für den Menschen gemacht.
Im Land der binären Codes (N. A.)
Die Hitze hing über dem Tag wie eine schwere Glocke, und der Himmel war so blau, als müsste der Sommer sich ein letztes Mal beweisen. Wir saßen am See und beobachteten, wie die Kinder sich friedlich und mit allergrößter Ausdauer eine Steinsammlung ertauchten. Der Tag war perfekt, und ich fühlte mich so richtig wohl – zu wohl.
«Mich musst du nicht fragen. In Mutterdingen hab ich den Coolness-Grad eines Computer-Nerds», witzelte ich, als die Mama mit dem Baby an der Brust gerade rätselte, ob sie nun besser mit Gemüse- oder Früchtebrei zufüttern soll. «Meine Töchter wurden unsanft geboren, geimpft, geschöppelt, und soweit ich mich erinnere, habe ich ihnen Kraut und Rüben durcheinandergefüttert.»
Ihre Füße hörten auf, im See zu baumeln. Die Stillende sagte nichts, aber ich sah, wie sie wegsah.
Was für ein Idiot war ich doch! Diesen wunderbaren Tag mit Leichtigkeit ruiniert: Über Mutterdinge scherzt man nicht. Nicht unter Müttern, die man nicht schon jahrelang und bis in die Eingeweide kennt. Auch nicht an einem schönen Sommertag. Und schon gar nicht über so verdammt persönliche und nicht mehr revidierbare Entscheidungen wie Gebären, Impfen und die Sorten von Brei. Die sind nämlich nur scheinbar privat. In Wahrheit sind sie politischer als jede Parteizugehörigkeit. Man ist total dagegen oder extrem dafür. Gemäßigte Positionen gibt es hier nicht.
Wer Mutter wird, lernt diesen binären Code kennen, noch bevor der Bauch rund wird. Voruntersuchungen – ja oder nein? So heißt die erste aller binären Entscheidungen. Fortan regiert in Mutters Leben das Entweder-oder. Hebammen- oder Arztgeburt. PDA oder Zähne zusammenbeißen. Pampers oder Huggies. Überall lauern existentielle Entscheidungen, die gefällt werden müssen. Das wäre gar nicht so schlimm, wenn man darüber diskutieren und sie abwägen könnte wie andere Entscheidungen auch. In Mutterdingen geht das nicht. Weil jede Entscheidung im Rahmen eines quasi-religiösen Kultes getroffen wird.
Und so kommt es, dass es Tragetuchmütter und Babybjörn-Mütter gibt, die, mit ein bisschen Übung, auch ohne Trageutensilien sofort erkennbar sind. Impfgegnerinnen sammeln ihren Nachwuchs sofort ein und bringen ihn in Sicherheit, wenn Sie hören, dass man dem eigenen Kind mehr als ein paar Globuli zumutet. Es reicht eben nicht, das eigene Kind aus Überzeugung nicht zu impfen oder zu stillen, die ganze Mutteridentität hängt davon ab. Alle andern machen es nicht nur anders – sie sind anders. Natürlich würde keine von ihnen einer andern ins Gesicht
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