Macho Man: Roman (German Edition)
Lehrer, und wie wir am letzten Schultag Beton vor den Eingang geschüttet haben, der mit einem Presslufthammer entfernt werden musste, bevor irgendwer das Schulgebäude betreten konnte. Oh Mann, wie viele Nächte habe ich damals davon geträumt, Gaby Haas so nah zu sein ... Davon erzähle ich ihr natürlich nichts.
Als Gaby mal wieder zur Toilette muss, vermutlich um nachzupudern, kaufe ich dem Express-Verkäufer, der um diese Zeit durch alle Kneipen und Cafés streift, ein Exemplar ab. Es ist gut, wenn es nicht so aussieht, als würde man auf die Frau warten. Auf Frauen warten ist unmännlich. Also lese ich wie üblichzuerst den Sportteil und freue mich, dass der Star-Stürmer des 1. FC Köln, Milivoje Novakovic, beschlossen hat, weniger Alkohol zu trinken. Dann fällt mein Blick auf die kleine Rubrik »Fußball international«, wo unter anderem die Ergebnisse der türkischen »Süper Lig« aufgelistet sind ... Trabzonspor hat verloren. Auf einen Schlag verschwindet meine Euphorie. Als würde jemand das Testosteron aus meinem Körper saugen und alle Endorphine mit Säure zersetzen. Trabzonspor hat verloren. 1:2 gegen Fenerbahçe. Diese Nachricht macht mich unglaublich traurig.
»Daniel, sag mal, weinst du?«
Gaby Haas ist vom Klo zurück. Weine ich? Wenn man Weinen so definiert, dass einem eine durchsichtige Flüssigkeit aus den Augen läuft, während man die Mundwinkel nach unten zieht – ja, dann weine ich.
»Ich glaube schon.«
»Aber... was ist denn los?«
»Trabzonspor hat verloren.«
»Wer ist Trabzonspor?«
»Ein türkischer Fußballverein.«
»Du weinst, weil ein türkischer Fußballverein verloren hat?«
»Ja.«
»Aha.«
»Tja.«
»Und, äh, warum weinst du, wenn ein türkischer Fußballverein verloren hat?«
»Weil das einfach total traurig ist. Ich meine, es lief doch so gut! Sie haben Galatasaray geschlagen, und jetzt verlieren sie gegen Fenerbahçe. Das kann doch einfach nicht wahr sein.«
»Äh ... Geht es dir gut, Daniel?«
»Weißt du, jetzt ist bestimmt die ganze Familie traurig. Vor allem Baba.«
»Baba?«
»Genau. Und Anne. Und Cem. Und die ganzen Emines und Ayşes. Und ... und Aylin.«
Ich schluchze. Der Barkeeper und Gaby Haas schauen mich irritiert an. Aber das ist mir egal. Meine Klamotten sind mir egal, mein Coolsein ist mir egal, wie ich auf Gaby Haas wirke, ist miregal. Durch meinen Kopf jagen Fetzen der Erinnerung: wie ich mit Aylin am Strand spaziere; wie ich nach dem Allergieschock aus der Ohnmacht erwache und sie meine Hand hält; wie ich ihr aus dem Bus zuwinke; wie ich ihr auf der Hamburger Hallig den Ring anstecke und wir uns küssen; wie wir uns anlächeln, als meine Eltern um Erlaubnis fragen. Plötzlich weiß ich wieder, wie Aylin riecht. Und ich weiß, dass ich diesen Geruch mein Leben lang um mich haben will.
Ich schluchze erneut. Meine Tränen bewässern das Foto, auf dem Milivoje Novakovic grinsend ein Kölschglas in die Kamera hält, und plötzlich kommt irgendwo aus meinem Inneren eine Erkenntnis, die ebenso glasklar wie unumstößlich ist: Ich muss zu Aylin. Jetzt. Sofort. Ohne zu zögern. Ich stehe auf, lege zehn Euro auf die Theke, klopfe Gaby Haas zum Abschied auf die Schulter und verlasse das Rosebud. Ich gehe über den Barbarossaplatz und denke: Mit Aylin würde ich sogar hier hinziehen.
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Ich sitze zu Hause an meinem Laptop und suche Flüge nach Antalya. Die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt: reise.de, fiug.de, easyjet.com, germanwings.de, antalya24.com, sunexpress.de ... Mir flimmern die Buchstaben vor den Augen. Währenddessen höre ich aus dem Fernseher Worte, die mir bekannt vorkommen: »Aaaah, hier zeigt sich die Zukunft...«
Mein koffeinfreier-Kaffee-Werbespot läuft. Ich schaue auf den Bildschirm und zucke zusammen: Die Wahrsagerin wird von einer zwanzigjährigen Brünetten mit aufgespritzten Lippen gespielt, deren Korsage kurz vor dem Platzen ist und die sich anhört, als würde Jörg Knör eine Telefonsex-Werbung imitieren. Nicht einmal Naddel hätte es geschafft, diese Knallcharge in schauspielerischem Dilettantismus zu unterbieten. Ich bin ehrlich entsetzt, öffne meinen E-Mail-Account und beginne zu schreiben:
Sehr geehrter Herr Kleinmüller,
habe gerade den Werbespot gesehen und bin begeistert! Wie Sie die Silikontitten als Metapher für die Künstlichkeit des modernen Lebens einsetzen und damit indirekt die Sinnlosigkeit des Produktes thematisieren – Hut ab! Dann die Korsage als Sinnbild für die einengende
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