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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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geht...
    Auf jeden Fall war es immer eine absolute Selbstverständlichkeit, dass mein Vater und ich in der Küche geholfen haben, wenngleich sich doch im Laufe der Zeit herausgestellt hat, dass meine Mutter besser kochen konnte – was zur Folge hatte, dass sogar Alice Schwarzer meinte, bei ihren Besuchen solle doch lieber die Frau an den Herd.
    Jetzt sitze ich zum ersten Mal in meinem Leben mit Männern am Tisch und lasse mich von Frauen bedienen. Die erste Viertelstunde fühle ich mich als Verräter der Emanzipation, aber dann kommt mir ein neuer Gedanke: Hier geht es darum, die Regeln einer fremden Kultur zu respektieren. Und wenn diese Kultur nun einmal darin besteht, dass sich Männer von Frauen bedienen lassen, dann verhalte ich mich gerade vollkommen politisch korrekt. Machoverhalten als Beitrag zur multikulturellen Gesellschaft – das macht richtig Spaß! Cem und Herr Denizoglu fangen schon an zu essen, obwohl die beiden Frauen immer noch den Tisch decken. Jetzt kriege ich doch wieder diese blöden Gewissensbisse:
    »Äh, sollten wir nicht vielleicht warten, bis die Frauen ...«
    »Warum sollen wir warten? Jeder isst sowieso in seinen eigenen Magen.«
    »Ach so. Natürlich.«
    Allerdings wollte ich nicht nur aus reiner Höflichkeit warten, ich hatte auch die unbestimmte Hoffnung, mein Hunger möge zurückkehren. Was allerdings nicht der Fall ist, denn das Gebäck scheint sich in meinem Magen irgendwie aufzublähen. Als Aylin eine letzte Schüssel mit Okraschoten zum Tisch bringt, scheint das Ensemble an Speisen, mit denen sogar Reiner Calmund problemlos überwintern könnte, endlich komplett: Aylin setzt sich neben mich und streichelt mir über den Arm. Eine kurze Berührung nur, vielleicht eine Sekunde, aber es ist, als hätte sie einen Knopf gedrückt, der sexuelles Begehren auslöst. Ich will Aylin küssen, jetzt, hier, und ich will noch mehr. Die Tatsache, dass ich sie hier im Familienkreis nicht einmal anfassen darf, erregt mich noch mehr. Könnten wir nicht einfach kurz in ihrem Zimmerverschwinden, unter irgendeinem Vorwand? Schon stellen sich in meinen Kopf Bilder ein, wie Aylin und ich uns in den Kissen wälzen, und unwillkürlich entfährt mir ein Stöhnlaut.
    »Hmmmmmh!«
    Alle schauen mich verwundert an.
    »Hmmmmh – das sieht aber alles unheimlich lecker aus.«
    Frau Denizoglu lächelt und bringt dann den tödlichen Satz:
    »Ist sehr lecker, Daniel, musst du unbedingt alles probieren!«
    Ich ahne, dass mir ein Martyrium bevorsteht, und lächle verkrampft zurück, als Aylins Mutter meinen Teller nimmt und darauf kiloweise Köfte, Reis, Kartoffeln und Joghurt anhäuft.
    Der Fernseher wird zum Essen nicht aus-, aber immerhin ein wenig leiser gestellt. Das ist auch praktisch, denn so kann Cem viel besser telefonieren. Es zeugt von einigem Training, wie er gleichzeitig Köfte kaut, Fladenbrot in die Soße tunkt und Reis nachnimmt, während er das Handy zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt hält.
    Um das ungeschriebene Gesetz nicht zu brechen, dass von vier Türken immer mindestens zwei telefonieren müssen, brüllt jetzt auch Aylins Mutter wieder 3000 Kilometer weit nach Anatolien.
    Ich atme einmal tief durch und beginne dann, meinen Teller langsam leer zu arbeiten. Obwohl es phantastisch schmeckt, fällt mir jeder Bissen schwer. Ich versuche mich selbst zu motivieren, indem ich das Essen im Geiste wie ein Sport-Event von Gerd Rubenbauer kommentieren lasse:
    »Sensationell, da hat er schon in der Vorrunde den favorisierten Schafskäse aus dem Rennen geworfen und trifft nun im Finale auf die unglaublich schwer zu bezwingenden Fleischspieße – aber mit unbändiger Willenskraft beißt er sich rein in diese Begegnung – absolut spektakulär, was hier abgeht in der Denizoglu-Arena...«
    Es wirkt vielleicht seltsam, aber so motiviere ich mich oft in schwierigen Situationen. Wenn ich alleine bin, zum Beispiel beim Joggen (was ich regelmäßig tue, also etwa einmal im Jahr), dann mache ich's sogar laut. Aber in diesem Fall würde mich Familie Denizoglu sicher seltsam anschauen, wenn ich mein eigenes Essen als Gerd Rubenbauer kommentieren würde. Moment mal, Familie Denizoglu schaut mich seltsam an. Habe ich etwa ...?
    O nein! Das kommt davon, dass die Hälfte meiner Blutmenge bereits für die Verdauung aus dem Kopf in den Magen geflossen ist. Und ausgerechnet jetzt hat niemand telefoniert. Ist das peinlich! Mindestens eine 0,95 auf der Zlatko-Skala...
    »Haha, das mache ich manchmal: Ich kommentiere

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