Macho Man: Roman (German Edition)
den Vermittler spielen. Das ist immer noch Unterhaltungsliteratur!
16 Ein noch schlechteres Wortspiel habe ich nur in der 6. Klasse gehört, wo einer meiner Mitschüler unsere Erdkundelehrerin, Frau Kusenbach, immer »Frau Busenkrach« nannte. Ich fand diesen Scherz damals schon daneben – eine für einen Zehnjährigen eigentlich bedauerliche Haltung ... Ich weiß nicht mehr, wer diesen »Gag« damals gemacht hat. Wahrscheinlich ist er heute Unterhaltungschef beim Privatfernsehen.
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Wenig später sitze ich mit Aylins Vater und Bruder am Tisch, der von Aylin und ihrer Mutter reichlich gedeckt wird: ein großer Korb mit Fladenbrot, ein Korb mit Sesamkringeln, zwei große Schüsseln Reis, ein Teller Köfte, ein Teller Fleischspieße, eine Schüssel mit dicken weißen Bohnen, eine Schüssel mit grünen Bohnen, eine sehr große Schüssel Salat (etwa in der Größe eines Kinderplanschbeckens), ein Teller mit türkischer Pizza, ein Teller Börek (Blätterteig), ein Teller Sigara Böregi (Blätterteig in Zigarrenform), jeweils eine Schale kleine grüne Oliven, große grüne Oliven, mittelgroße grüne Oliven, kleine schwarze Oliven, kleine schwarze schrumpelige Oliven, große schwarze Oliven, große schwarze schrumpelige Oliven, mittelgroße schwarze Oliven, mittelgroße schwarze schrumpelige Oliven, eine Schale grüne Peperoni, mit Schafskäse gefüllt, eine Schale rote Peperoni mit Schafskäse gefüllt, ein Teller mit gefüllten Paprika, ein Teller gebratene Auberginen, eine Schale Auberginenmousse, eine Schale Schafskäsemousse, eine Schale Olivenmousse, ein Topf mit Kartoffeln in einer roten Soße sowie eine Schale Sellerie, eine kleine Schüssel Petersilie, ein mittelgroßer Teller mit geviertelten Zitronen, eine Tupperdose mit Zucchini in roter Sauce, vier mittelgroße Schalen mit Joghurt, davon zwei zusätzlich mit Spinat, geschätzte fünfzig kleine Schälchen und Streuer mit verschiedenen Gewürzen und gefühlte 120 Kilo Schafskäse.
Jetzt verstehe ich endlich, warum Familie Denizoglu einen Esstisch von den Ausmaßen einer Tischtennisplatte besitzt, obwohl sie mit nur zwei Kindern für türkische Verhältnisse ja nicht gerade eine Großfamilie ist. (Wie ich erfahren habe, wird dieseKinderarmut allerdings dadurch wieder ausgeglichen, dass Aylin und Cem fast 50 Cousins und Cousinen beschert wurden, die wiederum auch schon wieder jede Menge Kinder in die Welt gesetzt haben; es existieren nur noch vage Schätzungen, wie groß die Familie inzwischen ist – auf jeden Fall dürfte sie nur sehr knapp ins Rhein-Energie-Stadion passen.)
Ich versuche mehrmals, Aylin und ihrer Mutter beim Tischdecken zu helfen, und werde von der gesamten Familie vehement davon abgehalten. Jetzt verstehe ich: Das ist hier die Aufgabe der Frauen. Und die Aufgabe der Männer besteht darin, währenddessen über Fußball zu reden.
»Und, Daniel, wer ist dein Lieblingsspieler bei Trabzonspor?«
»Wer? Mein, äh, oh, da gibt es so viele, die sind alle so gut, haha...«
»Aber wer ist für dich der Beste?«
»Okay. Der Beste. Hmm ... Dieser Stürmer, der so unglaublich schnell ist, der äh ...«
»Yattara?«
»Genau. Yattara.«
»Stimmt. Vallaha, Yattara ist super. Bravo, Daniel.«
Noch immer tragen Aylin und ihre Mutter Schalen und Teller aus der Küche heran. Eine innere Stimme sagt mir, dass ich helfen muss. So wurde ich nun mal erzogen. Meine Mutter war bis 1986 freie Mitarbeiterin der Frauenzeitschrift EMMA. Gelegentlich war sogar ihre Chefin Alice Schwarzer bei uns zu Gast. Deshalb durfte ich auch nie wie meine Kumpels Poster von Samantha Fox in mein Zimmer hängen. »Wenn die Alice das sieht«, war bei uns ein geflügeltes Wort. Wie kannst du als Junge eine vernünftige Pubertät hinlegen, wenn du ständig Angst haben musst, dass Deutschlands führende Feministin dein Zimmer inspiziert? Meine Mutter schlug vor, statt eines Samantha-Fox-Posters doch lieber ein Bild von Simone de Beauvoir aufzuhängen. Schließlich bin ich als Kompromiss Nena-Fan geworden. Nena lief zwar im Minirock rum und hatte einen süßen Schmollmund, aber sie war auch irgendwie frech und emanzipiert. Da waren beide Seiten zufrieden – sodass Alice Schwarzer bei der Inspektion meines Zimmers eigentlich nur meine Falco-Platten zu bemängeln hatte, weilsie Falco für einen fiesen Macho hielt. Seit dieser Zeit habe ich eine imaginäre Alice Schwarzer im Kopf, die mich für jeden Gedanken kritisiert, der nicht mit der Frauenbewegung konform
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