Macho Man: Roman (German Edition)
müsste man Franz Beckenbauer sein:
»Ja gut äh, sicherlich, da werd ich jetzt erst mal mit dem Uli Hoeneß drüber reden, und dann in aller Ruhe nachdenken ...«
Aber ich bin nicht Franz Beckenbauer und schaue Aylin Hilfe suchend an. Und Aylin rettet mich.
»Anne, hör bitte auf, ja?!«
Habe ich gesagt, Aylin rettet mich?! Da wusste ich noch nicht, wie ihre Mutter antwortet:
»Okay. Ich ruf morgen Standesamt an und frag, wann nächste Termine frei sind.«
»Anne, würdest du das bitte lassen?!«
»Ich ruf nur mal an. Einfach so.«
Tja. Türken machen halt gerne Nägel mit Köpfen. Vor allem wenn's ums Heiraten geht. Wie gesagt, ich mag es normalerweise, wenn Klischees zutreffen. Aber ein bisschen romantischer könnte man das Thema schon behandeln. Ein Heiratsantrag in Venedig, nachts in einer Gondel, der Gondoliere geigt die Mondscheinsonate, Champagner, ich rezitiere ein Rilke-Gedicht, und zwar nicht mit der Stimme von Udo Lindenberg ... So was in der Art. Aber Aylins Mutter geht das Ganze doch recht pragmatisch an, wie den Erwerb eines Eigenheims. Man fährt ja auch nicht mit dem Kreditvermittler nach Venedig und fragt ihn in gereimten Jamben, ob er einem 250 000 Euro leiht. Auf jeden Fall hat der Satz »Ich ruf morgen Standesamt an und frag, wann nächste Termine frei sind« etwa den Romantikfaktor vom Barbarossaplatz. 18 Dafür kommen dann 500 Gäste mehr zur Feier als bei einer deutschen
Hochzeit – vielleicht gleicht das die fehlende Romantik wieder aus.
Na ja, wenigstens stellen sie keine Fragen mehr zu meiner Religion ... In diesem Moment kommt Aylins Bruder Cem mit einem Küchenmesser und einer Geflügelschere ins Wohnzimmer.
»Also, Daniel, wie sollen wir dich beschneiden? Hiermit oder damit?«
Schweißperlen treten auf meine Stirn. Ich schaue in Cems Augen und suche verzweifelt nach irgendwelchen Anhaltspunkten für Ironie. Alle schauen mich an. Schon wieder zieht mein Leben an mir vorbei. Ich sehe meinen Vater, wie er 1980 zwei Zeuginnen Jehovas nicht etwa abwimmelt, sondern ins Wohnzimmer bittet, um einen konstruktiven Dialog zu führen. Unvergessen:
»Und Sie glauben also, dass das Weltenende naht...«
»Ja. Die Zeichen mehren sich. Merken Sie denn nicht, dass alles immer schlimmer wird?«
»Ich weiß nicht. Meinen Sie die Lage im Nahen Osten oder spielen Sie auf das 2:3 gegen Österreich an?«
»Glauben Sie uns, das Ende naht. Und nur Jesus Christus kann uns erlösen.«
»Tut mir leid, im Namen von Jesus Christus ist schon viel zu viel Mist passiert. Aber kennen Sie Sartre? Der hat ein paar interessante Ideen, was man vor dem Weltenende machen könnte.«
»Sartre? Den lehnen wir ab.«
»Haben Sie ihn denn gelesen?«
»Nein, aber...«
»Aha. Sie haben ihn also nicht gelesen. Also, ich schlage Folgendes vor: ich lese bis nächste Woche den Wachtturm, dafür knöpfen Sie sich ein Buch von Sartre vor. Und dann kommen Sie wieder und wir tauschen Argumente aus. Wir könnten natürlich auch Körperflüssigkeiten austauschen – meine Frau und ich führen eine moderne Ehe –, aber das müssen Sie entscheiden.«
Natürlich sind die Zeuginnen nicht wiedergekommen. Dabei hat mein Vater ihnen tatsächlich ein Sartre-Buch geschenkt und dafür den Wachtturm an sich genommen. Für ihn war das Wegbleiben der Jehova-Zeuginnen der Beweis, dass man mit Bibelgeschwafel nun einmal nicht gegen Sartre ankommt.
An dieser Stelle reißt mein Lebensfilm erneut, weil mir schallendes Gelächter entgegenschlägt. Gott sei Dank, diesmal war es wirklich nur ein Scherz. Ich atme auf und versuche, den Spott der Familie mit Würde über mich ergehen zu lassen. Alle schlagen sich auf die Schenkel vor Lachen, nur Aylins Mutter schaut böse.
»Cem, damit macht man keine Scherze.«
Da zieht mich die Kaffeesatz-Lese-Tante-Emine ins Nebenzimmer und schließt die Tür.
»Daniel, ich habe nicht alles gesagt eben. Kaffeesatz zeigt auch: Nächste Monat wird große Problem. Nur wenn ihr Problem löst, dann passiert, was ich habe gesagt.«
»Und wenn nicht?«
»Dann du bleibst immer allein und sehr, sehr unglücklich.«
»Aber... warum haben Sie das nicht der Familie gesagt?«
»Weil du hast gehabt große Angst, ich habe gesehen. Das zeigt, du hast großes Herz für Aylin ... Außerdem, ich habe gehört, du bist für Trabzonspor.«
»Ja, in der Tat.«
»Unsinn. Das ist natürlich Lüge. Aber zeigt, dass du bist kluger Junge, und ich mag kluge Jungen.«
»Tja, äh...«
»Aber bitte, pass auf nächster Monat.
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