Macho Man: Roman (German Edition)
mit einer Frau, der man in vier Stunden und zehn Minuten einen Heiratsantrag machen will. Ich habe halt die erste Frage genommen, die mir in den Sinn kam. Aber ob sie nun blöd war oder nicht – Aylin beginnt zu erzählen: dass sie zwar nicht so fanatisch ist wie ihr Vater, sich aber schon freut, wenn Trabzonspor gewinnt. Dass wir unbedingt mal nach Trabzon ans Schwarze Meer fahren sollten, weil es dort Berge gibt wie in der Schweiz. Dass sie dort mehrere Tanten und Onkel hat, die einsam auf einem Berg wohnen und sich mit Milch und Mais selbst versorgen. Dass jede Familie im Garten ihren eigenen Friedhof hat und ihre Großeltern da liegen. Dass ihr Vater nur nach Deutschland gezogen ist, um sich das Geld für ein Haus am Schwarzen Meer zu verdienen, und dann nicht mehr weg wollte, weil er die deutsche Demokratie großartig findet. Dass sich ihre Eltern in Köln bei einem türkischenLiederabend kennengelernt haben, bei dem ihre Mutter gesungen und ihr Vater getrommelt hat. Dass sie früher gedacht hat, sie könnte sich niemals in einen deutschen Mann verlieben, und dass sie sich noch nie in ihrem Leben so getäuscht hat.
Ich erzähle von meinen Eltern und ihren Versuchen, alles anders zu machen als die Generation davor. Davon, dass mein Vater sich immer noch für die Nazis schämt, obwohl er damals ein Kind war. Dass ich zu Musik von Wolf Biermann aufgewachsen bin und mit dem Weltbild von Alice Schwarzer. Dass ich mich immer für ein Weichei gehalten habe und dass ich dank Aylins Unterstützung zum ersten Mal daran zweifle. Dass ich auch nie daran gedacht habe, mich in eine Türkin zu verlieben, und sehr froh bin, dass wir uns beide getäuscht haben.
Nebenbei bestellen wir noch zwei Tee, dann noch zwei, dann noch zwei, dann essen wir Apfelkuchen, aber das alles registriere ich kaum, ich bin besessen davon, noch mehr über Aylin zu erfahren und ihr noch mehr von mir zu erzählen. Ich schaue beiläufig aus dem Fenster und sehe – Wasser. Die Flut ist da. Wir haben viereinhalb Stunden geredet, und sie kamen mir vor wie fünf Minuten. Ich glaube, ich habe mich gerade noch einmal in Aylin verliebt. Auf eine tiefere Art.
Nachdem ich bezahlt habe, sage ich Aylin, sie solle sich nicht darüber wundern, was jetzt passiert, und mir vertrauen. Dann verbinde ich ihr die Augen und führe sie aus dem Hallig-Krog nach draußen, über die Weide, bis zu den Wellenbrechern. Dort setzen wir uns nebeneinander, und ich nehme ihr die Augenbinde ab. Unter sich majestätisch auftürmenden Wolken zeigt sie ihre ganze raue Schönheit: die Nordsee. Auch Aylin kann sich des Rosa-munde-Pilcher-Effekts nicht erwehren: Ihr kommen die Tränen.
»Daniel, du bist unglaublich!«
»Es ist schön, nicht wahr?«
»Du kannst zaubern. Vallaha, du kannst zaubern. Eben war da ein Sumpf, jetzt das Meer... Es ist wunderschön.«
In diesem Moment ziehe ich aus meiner Jacke die kleine Schatulle mit den Ringen aus Weißgold, die ich heute Morgen noch schnell bei einem türkischen Juwelier in der Weidengasse gekauft habe: Schlicht, aber elegant; in Aylins Ring ist ein kleiner blauerSaphir eingearbeitet. Ich öffne die Schatulle, und plötzlich wird mir bewusst, dass ich mir keinen Satz zurechtgelegt habe. Für einen kurzen Moment habe ich Angst, den schönsten Augenblick meines Lebens mit einer Reiner-Calmund-Imitation zu versauen. Dann sehe ich, wie Aylins Tränen beim Anblick der Ringe zu kleinen Rinnsalen werden, und plötzlich ist alles klar. Was ich tun muss, was ich sagen muss, mit wem ich mein Leben verbringen will. Ich schaue Aylin tief in die Augen.
»Aylin, du bist das Schönste und Wunderbarste, was mir je passiert ist. Ich will immer mit dir zusammen sein ... Benimle evlenmek istiyor musun?«
Ich hatte den türkischen Juwelier gefragt, was »Willst du mich heiraten?« auf Türkisch heißt. Er hat es mir aufgeschrieben, und auf dem Weg zu Aylin habe ich den Satz immer wieder laut vor mich hin gesagt, um ihn mir einzuprägen. Ich hatte kurz Angst, dass der Juwelier auch so ein Scherzkeks sein könnte wie Cem und ich Aylin jetzt vielleicht frage, ob ihre Mutter eine Prostituiere ist – deshalb habe ich mir extra noch ein Langenscheidt-Wörterbuch gekauft und den Satz nachgeprüft.
Der Satz ist richtig, was ich vor allem daran merke, dass Aylin mir gerade schluchzend um den Hals fällt. Eine lange Zeit umarmen wir uns einfach ganz fest. Dann löst sich Aylin und hat gerade noch genug Stimme, um »Ja, ich will« zu hauchen. Jetzt kriege auch ich
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