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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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feuchte Augen. Ich stecke ihr den Ring an, sie steckt mir den Ring an, und exakt in diesem Moment öffnet sich die Wolkendecke, die Sonne scheint hindurch und taucht die ganze Szenerie in Orangegold. 19 Wir küssen uns lange und intensiv. Dann nehme ich Aylin in den Arm, und wir schauen uns gemeinsam dieses lebendig gewordene Postkartenpanorama an, bis ich merke, dass Aylin an meiner Schulter eingeschlafen ist – mit dem Lächeln im Gesicht, das ich so sehr liebe.
    19 Liebe Gegner kitschiger Szenarien, ich kann doch auch nichts dafür, dass das jetzt passiert, aber es passiert nun mal. Ich kann doch nicht schreiben, dass es regnet, wenn gerade die Sonne durch die Wolkendecke bricht. Dafür fühle ich mich zu sehr der Realität verpflichtet, und die ist nun mal gelegentlich romantisch, da kann ich auch nichts gegen machen.

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    19
    Anderthalb Stunden später wuchte ich die beiden Mega-Kühltaschen in den ersten Stock eines Bauernhofes. Wir hatten Glück, dass nur zehn Kilometer von der Hamburger Hallig entfernt gerade Gäste aus einer Ferienwohnung abgefahren sind. Die Wohnung ist wie ein Museum für Flaschenschiffe: Von kleinen Einmastern bis hin zur Gorch Fock wurde hier alles in Schnapsflaschen verfrachtet und in Vitrinen, auf Brettern, Kommoden und Fensterbänken ausgestellt. Selbst auf dem Schlafzimmerschrank stehen in zwei Metern Höhe noch mindestens acht Flaschen. Insgesamt schätze ich den Bestand auf gut 200. Entweder gibt es hier einen leidenschaftlichen Sammler, oder jemand hat versucht, seinen exorbitanten Schnapskonsum mit künstlerischer Tätigkeit zu übertünchen.
    Aylin und ich setzen uns in die kleine Küche auf die Holz-Eckbank und essen mit Schafskäse gefüllten Blätterteig, Oliven und Köfte – also etwa fünf Prozent der mitgebrachten Reserven. Durch die Fenster dringt der würzige Geruch von Kuhmist, und mein Blick fällt auf zwei Fliegen, die auf einer Schnapsflasche mit dem Buddelschiff »Alexander von Humboldt« Geschlechtsverkehr haben. Die haben Spaß – im Gegensatz zu ihren Artgenossen, die in der Ecke an einer dieser ekligen Klebefliegenfallen hängen. Obwohl, wer weiß – vielleicht sind es ja S/M-Fliegen und finden das toll.
    Die Frage steht unweigerlich im Raum: Wird »es« heute passieren? Wir übernachten zum ersten Mal gemeinsam, wir sind verlobt, wir sind alleine ... Seit unserem ersten Kuss sind mittlerweile fast drei Wochen vergangen ... Tja. Hm. Tja, tja, tja. Hm. Tja. Hm.Tja, tja. Hm, hm. Tja. Hm. Tja ... Ich suche nach Anzeichen von Lüsternheit in Aylins Gesicht, kann aber keine finden. Sie sieht glücklich aus, nicht lüstern.
    »Weißt du was, Daniel?«
    »Ja?«
    »Ich werde diesen Kuss auf der Hamburger Hallig niemals vergessen. Diesen Kuss, der ein kleines bisschen nach Apfelkuchen geschmeckt hat. Ich werde ihn immer in meinem Herzen tragen.«
    Ich möchte einfach nur dahinschmelzen. Irgendwie beneide ich orientalische Menschen dafür, dass sie so pathetisch sprechen können, ohne dass es auch nur ansatzweise peinlich wirkt. Das letzte Mal, dass ein Deutscher so unbefangen pathetisch gesprochen hat, war beim Reichsparteitag. Seitdem ist irgendwie der Wurm drin. Vielleicht bringen es uns die Türken ja wieder bei.
    Aber bei aller Freude über Aylins unbekümmerten Umgang mit emotionalen Sätzen: Wie bringt man das eigentlich zur Sprache, dass man gerne Sex haben würde? Sollte das nicht einfach passieren?! Schon wieder beneide ich die Machos, die das einfach mit einem Blick ausdrücken können. Genau wie den Flirt-Blick gibt es nämlich auch einen Ich-will-dich-jetzt-um-den-Verstand-vö-geln-Blick. Den haben wir Deutschen nicht drauf, und wir Intellektuellen-Söhne schon gar nicht. Dafür beherrschen wir perfekt den In-dem-Film-fehlte-mir-ein-Stück-weit-das- Kafkaeske-Blick oder den Beim-Thema-Völkermord-dürfen-wir-die-Verbrechen-aus-der-Kolonialzeit-nicht-ausklammern-Blick.
    Aber für den Ich-will-dich-jetzt-um-den-Verstand-vögeln-Blick fehlen uns irgendwelche Gene. Vielleicht hat das auch was mit der Sonne zu tun – je weniger Sonne, desto schwerer wird der Ich-will-dich-jetzt-um-den-Verstand-vögeln-Blick. Der Finne zum Beispiel, der die Sonne noch seltener sieht, kennt nur zwei Blicke: das depressive Ich-brauche-Wodka-Starren und das zufriedene Jetzt-habe-ich-über-drei-Promille-Stieren.
    Wie dem auch sei, wir Deutsche können den Wunsch nach Sex leider nur verbal ausdrücken, gewöhnlich mit der Frage »Zu dir oder zu mir?«. Das ist praktisch und

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