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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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gehe ich mit meinen Eltern über die Ven-loer Straße in Richtung der Wohnung von Familie Denizoglu. Mein Vater trägt Jeans, einen schwarzen Rollkragenpulli und ein Cordjackett. Seine schulterlangen silbergrauen Haare hat er wie üblich glatt nach hinten gekämmt, damit seine Wim-Wenders-Brille besser zur Geltung kommt. Meine Mutter trägt eine schlabberige lila Seidenbluse und eine ebenso schlabberige bordeauxrote Leinenpluderhose. Dazu langes lockiges Haar; zusammen mit dem Blumenstrauß, den sie als Gastgeschenk in der Hand hält, erweckt sie den Eindruck, als sei sie aus einem Franziska-Becker-Cartoon der 70er-Jahre hierhergebeamt worden ...
    »Sind wir gleich da? Ist es dieses Haus? Hier sind ja tolle türkische Läden – kann man da günstig Lammfleisch kaufen? Ich habe Tulpen besorgt. Mögen Türken überhaupt Blumen?«
    »Klar, Erika. Zwar am liebsten aus Plastik, aber ...«
    »Müssen wir in der Wohnung die Schuhe ausziehen? Ist es eigentlich schlimm, dass wir nicht an Gott glauben? Pass auf, dass sie nichts kochen, wogegen du allergisch bist. Sprechen Aylins Eltern überhaupt Deutsch?«
    »Natürlich. Die leben seit 30 Jahren hier.«
    »Ich muss unbedingt Türkisch lernen. Gibt es an der Volkshochschule Türkischkurse? Was heißt ›Wir sind keine Nazis‹ auf Türkisch?«
    Beim Stichwort »Nazis« horcht mein Vater, der zuvor in Gedanken versunken war, auf.
    »Was hast du gesagt?«
    Um eine langwierige Diskussion über unsere Geschichte zu vermeiden, spreche ich meinen Vater schnell auf das in Geschenkpapier eingewickelte Buch an, das er in der linken Hand trägt.
    »Was hast du da eigentlich?«
    »Das? Oh, das ist ein hervorragendes Buch. Das möchte ich Aylins Vater schenken. Das wird ihm gefallen.«
    »Toll. Und worum geht's?«
    »Nun, es geht um Misshandlungen beim türkischen Militär. Der Autor hat unter Lebensgefahr recherchiert und gibt einen absolut erschütternden Einblick in die ...«
    »Rigobert, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.«
    »Wieso?«
    »Also, ich hatte den Eindruck, dass Aylins Vater ... na ja, doch irgendwie eher patriotische Gefühle für die Türkei hat.«
    »Aber er ist doch nicht bei den Grauen Wölfen?!«
    »Nein. Er ist absolut tolerant. Ich weiß nur nicht, wie das bei ihm ankommt, wenn das türkische Militär kritisiert wird ... Und vielleicht solltet ihr euch auch nicht unbedingt über Griechenland unterhalten.«
    »Wieso denn nicht? Das ist doch immer wieder ein spannendes Thema. Alleine über Sokrates könnte ich mich tagelang ...«
    »Tu's einfach nicht. Vertrau mir.«
    Wir stehen mittlerweile vor der Haustür. Ich drücke die Klingel. Mein Vater liest das Klingelschild.
    »Denizoglu.«
    »Nein. Denizoglu. Da ist ein Kringel über dem g, dann wird es nicht mitgesprochen: Deniz-o-lu.«
    »Ah, wie unser Dehnungs-i, das zur Kennzeichnung von Langvokalen benutzt wird, zum Beispiel in ›Grevenbroich‹. Eine Form, die angeblich keltischen Ursprungs ist, obwohl sie in der Schriftsprache erstmals von Martin Luther in seiner Bibelübersetzung ...«
    Man sollte einen Germanistik-Professor nie auf sprachliche Feinheiten aufmerksam machen. Meine Mutter reißt das Papier von den Blumen.
    »Das ist aber ein schönes Haus. Ist das nicht zu laut, direkt an der Venloer Straße? Welcher Stock ist es denn? Wie begrüßen sich Türken überhaupt? Gibt man sich die Hand? Guckt man sich in die Augen? Ich gehe als Erste. Oder mögen es Türken nicht, wenn die Frau vorangeht?«
    Schließlich gehe ich voran. Ich spüre, dass ich unsicher bin. Obdas gut geht – meine intellektuellen Eltern und eine türkische Familie? Gleich bin ich schlauer. Aylin steht in der Tür. Wir begrüßen uns mit einem kurzen Kuss auf den Mund, dann sieht Aylin meine Eltern. Ich merke, dass auch sie aufgeregt ist. Zuerst kommt meine Mutter. Sie begrüßt Aylin und hält ihr die Hand hin, die aber ins Leere greift, weil Aylin sie mit Küsschen rechts-links empfängt. Dasselbe Spiel wiederholt sich nicht nur zwischen Aylin und meinem Vater, sondern auch zwischen meiner Mutter und Aylins Mutter, meinem Vater und Aylins Mutter, meiner Mutter und Aylins Vater sowie meinem Vater und Aylins Vater: Meine Eltern halten jeweils vergeblich die Hand hin und werden geküsst. Erst als Cem sein Handygespräch beendet hat und meine Eltern begrüßt, zeigt sich ein Lerneffekt: Sie halten ihm nicht die Hand hin und küssen direkt.
    Jetzt überreicht meine Mutter die Tulpen, die von Frau Deni-zoglu mit orientalischer

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