Macho Man: Roman (German Edition)
funktioniert.
Jetzt kommt Aylins Vater zu mir und drückt mich fester und emotionaler an sich, als es ein Verwandter von mir je getan hat. Er hat Tränen der Freude in den Augen und tätschelt mich danach liebevoll im Gesicht, obwohl es für neutrale Beobachter eher so aussehen muss, als würde er mich ohrfeigen – und es fühlt sich auch so an. Ich schüttle ihn, er schüttelt mich, und wir drücken uns noch einmal aneinander, diesmal noch fester, mit Rückenklopfen. Komisch, plötzlich fühlt sich mein Rücken so gesund an, als hätte das Brüllen, Schütteln und Klopfen alle Schmerzen getilgt und alle Verspannungen gelöst. Ein Sieg für Trabzonspor, und meine Osteopathin wird arbeitslos. Herr Denizoglu ist immer noch gerührt.
»Ogulum. Mein Sohn...«
Er möchte gerne mehr sagen, seine Gefühle herausbrüllen; stattdessen drückt er mich noch einmal fest an sich. Kurz bevor ich blau anlaufe, gibt er mich wieder frei.
»Mein Sohn ... Ich bin stolz, dass du in unser Familie kommst. Für Aylin, ich habe mir immer gewünscht genauso netten Mann wie du. Natürlich, wäre auch schön gewesen Türke, aber Hauptsache keine Grieche. Du machst mich glücklichste Papa der Welt.«
»Danke, Herr Denizoglu, das ...«
»Nix mehr, Herr Denizoglu. Du sagst ab heute ›Baba‹.«
»Oh, das ist, ich meine ... äh ...«
»Keine Widerrede. Oder willst du mich beleidigen?«
»Natürlich nicht, Herr äh ... Baba.«
Es fühlt sich seltsam an, zu einem Mann »Baba« zu sagen, den ich erst zum dritten Mal getroffen habe. Aber wenn er mir schon körperlich näher kommt als mein eigener Vater, warum dann nicht auch verbal? Wieder eine Umarmung mit Klopfen und Schlagen. Auch ich habe Tränen in den Augen, aber es sind keine Weichei-Tränen, es sind stolze Tränen. Tränen, wie sie Aragorn in den Augen hatte, nachdem er Mordor besiegt und Mittelerde den Frieden zurückgebracht hat.
Ich spüre, dass ich endgültig in diesem Kulturkreis angekommen bin. Dieser gemeinsame Torjubel, diese Grenzerfahrung, dieses Nahtoderlebnis, all das war ein männlicher Initiationsritus – und die stolzen Männer hier im Karadeniz-Café, diese Helden, diese Nachfahren der großen osmanischen Feldherren, haben mich in ihren erlauchten Kreis aufgenommen. Ich bin ein tapferer Krieger, ich kann die Welt erobern, und ich mache vor nichts mehr halt: nicht vor Wien, nicht vor Koffeinfreier-Kaffee-Produzenten, und vor türkischen Discos schon gar nicht.
22 Liebe Freunde ungetrübter Romantik, natürlich könnte man jetzt kritisieren, dass es irgendwie nicht richtig ist, einer hübschen Studentin zuzuzwinkern, während ich mit Aylin telefoniere, aber Herrgott noch mal, ihr habt doch gelesen, was ich früher für ein Elend mitgemacht habe – jetzt kann ich ja wohl einmal genießen, dass ich bei Frauen ankomme! Das ist ja nun wirklich nicht zu viel verlangt! Und außerdem habe ich mich gerade fast umgebracht, nur damit ich Aylin in Ruhe ein Küsschen ins Handy schicken kann, aber das überlest ihr einfach, ihr Ignoranten!
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26
Es ist Samstagabend. Ich sitze ohne Aylin bei Familie Denizoglu und habe meine Lernfähigkeit unter Beweis gestellt, indem ich exakt zehn Prozent meines Essens auf dem Teller gelassen habe, um zu signalisieren, dass ich satt bin. Und es hat tatsächlich funktioniert. Aylins Mutter, zu der ich jetzt nicht mehr »Frau Denizoglu« sage, sondern »Anne«, hat nach nur fünfmaligem Nachfragen tatsächlich meinen Teller abgeräumt und war nicht beleidigt.
Auch die familiären Pflichtaufgaben habe ich erledigt: Ich habe mich mit der 18-jährigen Tochter von Tante Emine getroffen, die originellerweise auch Emine heißt, aussieht wie 14 und angeblich einen Job in der Werbebranche haben will – aber ein ausgeprägtes Desinteresse an sämtlichen Erscheinungsformen menschlichen Zusammenlebens an den Tag legt:
»Also, Emine, was ist denn dein Ziel?«
»Weiß nicht.«
»In der Werbebranche gibt es kreative und technische Berufe. Was interessiert dich mehr?«
»Keine Ahnung.«
»Was Kreatives?«
»Ja.«
»Oder eher was Technisches?«
»Ja.«
»Aber was denn lieber?«
»Keine Ahnung...«
»Denk einfach mal nach. Stell dir beides vor. Und dann sag spontan, was dir besser gefällt.«
»Hmm ... Mmmmm ... pfff... hm. Pff. Hmmm. Tja ... Also, irgendwie hmmm... was Kreatives.«
»Gut.«
»Oder was Technisches.«
»Ooookay. Gut. Äh, arbeitest du gerne im Team?«
»Weiß nicht.«
»Was ist denn dein Lieblingsfach?«
»Keine
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